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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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postulierten, im „N<strong>am</strong>en des Ungartums“ wie Balázs feststellt. Für ihn aber, der sich - nicht nur in der<br />

theosophischen Gesellschaft - mit Seelenwanderung 62 beschäftigt, ist auch sein Ungartum eine<br />

„Inkarnation“, eine Station auf einer unendlichen Wanderung. „Ich nehme alle Konsequenzen auf<br />

mich. Aber ich fühle meine früheren und mein zukünftiges Leben, so dass es nicht zwangsläufig ist.<br />

[...] - ob mein Judentum des Rätsels Lösung ist? Ich glaube nicht, dass es ausreicht, um mich zu<br />

enträtseln.“ 63 Auch hier ist vom kommenden spirituellen Internationalismus die Rede, dem Balázs den<br />

Weg bereiten will.<br />

In der Jugend eines Träumers führt Balázs später seine Zugehörigkeit zum Judentum und die<br />

Vorstellung eines Geheimbundes eng zus<strong>am</strong>men, beschreibt seine jüdische Herkunft als ein<br />

rätselhaftes Geheimnis, das ihn außerhalb jeder Gemeinschaft stellte. Balázs’ Vater, dessen<br />

wissenschaftliche Karriere durch einen Akt von Zivilcourage ihr Ende fand, wie auch seine Mutter<br />

Jenny Levy (Jüdin, aber: „eine wirkliche Deutsche [...] Blond, blauäugig und schlank“ 64 ), führten eine<br />

gänzlich assimilierte Existenz.<br />

Balázs besucht in Löcse die deutsche evangelische Schule, die vor allem von den alteingesessenen<br />

deutschstämmigen Bürgern und der liberalen Be<strong>am</strong>tenschaft beschickt wurde. Er geht jeden Sonntag<br />

in die Kirche. Doch da seine Eltern und d<strong>am</strong>it auch er keinen Platz in den Bänken der Kirche haben,<br />

verbringt er den Gottesdienst auf dem Orgelstuhl, wo er den Blasebalg treten darf. Verbunden mit<br />

diesem Erlebnis einer nicht selbstverständlichen, einer nicht wirklich vollständigen Zugehörigkeit,<br />

spürt er eine nicht hinterfragbare, eine undefinierbare Differenz. Einmal im Jahr führt sein Vater ihn zu<br />

einer geheimnisvollen Zeremonie.<br />

„Er nahm mich an der Hand und wir gingen in ein kleines Haus <strong>am</strong> Grünen Tor, dann durch den Hof<br />

in ein gewöhnliches Zimmer mit Bänken. Das Zimmer war voll von Männern, die ich nicht kannte und<br />

die Vater meines Wissens auch nicht kannte. Sie hatten weiße Tücher um die Schultern und schlugen<br />

sich wehklagend an die Brust. Es war mir unheimlich, daß auch Vater sich ein solches Tuch mit<br />

schwarzen Streifen an den Rändern umlegte und sich dadurch in einen fremden und geheimnisvollen<br />

Geheimbund einreihte. Zwar schlug sich Vater nicht an die Brust und schien die Gebete so unbeteiligt<br />

61 Balázs, Napló 1914-1922, S. 44. Eintrag vom 9.4.1915.<br />

62 Er tut auch dies nicht ohne grundsätzliche Zweifel: „Aber werden wir durch das Bewusstsein von<br />

Unsterblichkeit und Seelenwanderung nicht frivol?“, fragt Balázs sich im <strong>am</strong> 19.3.1915 im Tagebuch. „Wir nehmen<br />

dieses Leben nicht ernst genug. Es verliert seinen ausschließlich bestimmenden Charakter, seine ethische<br />

Symbolik, wir können alles verschieben und auf die leichte Schulter nehmen, denn für uns eilt es nicht [...]“ (ebd.,<br />

S. 35).<br />

63 Ebd., S. 44. Eintrag vom 9.4.1915.<br />

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