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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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zur Vorstellung einer in sich ruhenden „Vollkommenheit des Seins und des Lebens“ 32 , einer Totalität<br />

der latenten Möglichkeiten. 33 Und d<strong>am</strong>it verweist Simmel geradewegs auf die Sehnsüchte der<br />

männlichen Teilnehmer des Sonntagskreises.<br />

Nicht das Frauenbild Balázs’ fällt aus diesem Rahmen, sondern der Versuch der Teilnehmer, die<br />

Auseinandersetzung über das Verhältnis von Mann und Frau, durch ästhetische, metaphysische und<br />

ethische Probleme hindurch, möglichst authentisch und kontrovers zu artikulieren. „Jedes Thema“, so<br />

erinnerte sich Anna Lesznai, „k<strong>am</strong> zum Zuge, Malerei, Folklore, Geschichte. Von Liebe war <strong>am</strong><br />

häufigsten die Rede, von Liebesphilosophie. Und dann saßen wir und sprachen über diese Dinge,<br />

und notierten das Allerwichtigste. Ich besitze noch ein recht dickes Tagebuch aus jener Zeit, in das<br />

ich die Gespräche notierte.“ 34<br />

Weibliches und männliches Prinzip, das waren auch für Lukács und Balázs zwei existentielle Pole, die<br />

sich mit Intuition und Rationalität verbanden, ohne immer mit Männern und Frauen verbunden zu<br />

sein. 35 Balázs selbst sah sich als Wanderer zwischen diesen Welten, und die Idee der<br />

Seelenwanderung besaß schon von daher für ihn eine besondere Attraktivität. „Nach den<br />

Theosophen wird der Mensch abwechselnd als Mann und als Frau geboren.“ 36 Im Alter würden sich<br />

die Menschen schon auf den Weg zum anderen Geschlecht machen. Und keineswegs würden die<br />

Männer lediglich, wie Balázs notiert, „das Beste [ihres] Ichs auf die Frau projizieren“. 37 „Das Ewig-<br />

Weibliche-in uns zieht uns hinan [Deutsch im Original].“ 38 Doch dieses Weibliche ist auch für Balázs,<br />

das konstitutiv „unfertige“, die „instinktive Rohmaterie“, die Sphäre der unbegrenzten Möglichkeiten.<br />

„In den Diskussionen sagte Anna einmal,“ notierte er <strong>am</strong> 28.6.1917 ins Tagebuch, „ich sei eigentlich<br />

ein Intellektueller und Rationalist. Das schmerzte mich, weil es - besonders von ihrer Seite - eine<br />

32 Ebd., S. 241.<br />

33 Indem er zugleich versucht, die möglichen Gebiete abzustecken, in denen sich das „weibliche Prinzip“<br />

selbständig zu verobjektivieren vermöge, (ohne nur zu wiederholen, was die männliche Kultur schon vollbracht<br />

habe), bewegt sich Simmels Essay freilich auf einer Kreisbahn, genauer in der Form eines Zirkelschlusses. Die von<br />

ihm konstatierte Unmöglichkeit, solche konkreten Formen weiblicher Kulturschöpfungen als Verobjektivierung<br />

weiblicher Kultur zu identifizieren, verweist für ihn nur wieder auf die „prinzipielle Diskrepanz zwischen der Form<br />

des weiblichen Wesens und der objektiven Kultur überhaupt“ (S. 240). D<strong>am</strong>it aber bleibt das „weibliche Prinzip“<br />

kategorisch auf die Ebene der Latenz, des Immateriellen verbannt, bleibt eine Projektionsfläche, auf die die eigene<br />

Sehnsucht ad infinitum das jeweilige Ge genmodell zu erlittener Entfremdung einzuschreiben vermag.<br />

34 Anna Lesznai, „Erinnerungen“, S. 94f.<br />

35 „Eines unserer Gespräche: es gibt weibliche und männliche Prinzipien, aber die Träger der männlichen<br />

Prinzipien sind nicht immer die Männer und nicht immer die Frauen die der weiblichen.“ (Balázs, Napló 1914-<br />

1922, S. 103. Eintrag vom 23.12.1915)<br />

36 Balázs, Napló 1914-1922, S. 104. Eintrag vom 23.12.1915.<br />

37 Ebd.<br />

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