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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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einen rituellen, quasi religiösen Ton in allen Dingen, und die Teilnehmer waren verpflichtet die<br />

Wahrheit zu sagen.“ 26<br />

Die Rolle, die den weiblichen Teilnehmern des Sonntagskreises zugewiesen und von ihnen offenbar<br />

auch akzeptiert wurde, war offenkundig, als komplementäres Element der Intellektualität der<br />

„Vordenker“ auf der spirituellen Dimension der Debatten zu beharren.<br />

„Die Frau ist dumm,“ notiert Balázs <strong>am</strong> 28.12.1915 in seinem Tagebuch über die Tragödie der Frau,<br />

„aber ihr Urinstinkt ist gegenüber dem wurzellosen Intellekt des Mannes, in der Welt des Mannes,<br />

hartnäckig und beschränkt, verursacht lauter Unheil“. 27 Die Frau sei von einer „vegetativen,<br />

unbewussten Sicherheit; ist stark und zäh, zweifelt oder zögert nie, weil ihre Sicherheit nicht die<br />

Sicherheit des Urteils ist [...]. Naturkraft.“ 28 Neben ihnen würden sich gerade die Besten unter den<br />

Männern, jene, die keine angeborene, instinktive Sicherheit besäßen, wie kleine Kinder fühlen, wie<br />

Verirrte.<br />

Die Frau als vegetative Existenz, als naturhafte Unbewusstheit, diese Vorstellung hatte auch<br />

Weininger in Geschlecht und Charakter propagiert. Georg Simmel hatte hingegen versucht, in<br />

seinem Aufsatz „Weibliche Kultur“, den als männlich gekennzeichneten Objektivationen des Geistes,<br />

die die „objektive Kultur“ bildeten, ein weibliches Prinzip der Latenz entgegenzuhalten und d<strong>am</strong>it<br />

einen spezifischen kulturellen Relativismus begründet, der mit dem „naiven Dogmatismus“ aufräumen<br />

sollte, „daß alle Kräfte, alle Potentialitäten erst dann ihren wertvollsten Beitrag zu der subjektiven und<br />

objektiven Existenz gäben, wenn sie sich in dem Stadium, das wir ihre volle Entwicklung nennen,<br />

befinden“. 29 Simmel polarisiert hier zwischen einem Prinzip der Entäußerung, der<br />

Vergegenständlichung des Mannes, der etwas aus sich „entläßt und d<strong>am</strong>it etwas ‘bedeutet’, was in<br />

irgendeinem Sinne außer ihm liegt, dyn<strong>am</strong>isch oder ideell“ 30 , und der „organischen Beschlossenheit in<br />

der Harmonie der Wesensteile unter sich und ihrer gleichmäßigen Beziehung zu ihrem Zentrum“. 31<br />

Simmel weiß zwar, dass die empirischen Subjekte mit diesen Prinzipien nicht unbedingt<br />

übereinstimmen. Doch sein Begriff des „Wesens“ tendiert von der analytischen Abstraktion immer<br />

wieder zu einem letztlich biologistischen Substanzdenken. Aufgeladen von seiner Phänomenologie<br />

der Entfremdung wird die Kategorie des „weiblichen Prinzips“ zur Projektionsfläche einer Utopie,<br />

26 Anna Lesznai in einem Interview mit Erzsébet Vezér, 1965, in: Éva Karádi, Erzsébet Vezér (Hg.), A vasárnapi kör.<br />

Dokumentok [Der Sonntagskreis. Dokumente]. Budapest: Gondolat, 1980, S. 54f.<br />

27 Balázs, Napló 1914-1922, S. 112.<br />

28 Ebd., S. 113.<br />

29 Georg Simmel, Philosophische Kultur, S. 213.<br />

30 Ebd., S. 230.<br />

31 Ebd.<br />

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