12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

D<strong>am</strong>it ist auch der „Tod“ für Balázs nicht gleichbedeutend mit dem „Sterben“, die Auflösung in<br />

transzendente Allverbundenheit keineswegs das höchste Ziel:<br />

„Der Tod als Nicht-Sein, Lebenskontur ist a priori Bedingung des Bewusstseins, das Sterben nur a<br />

posteriori. Der Tod ist allgemein, das Sterben individuell. ‘Tod’ und ‘Sterben’. Um den ‘Tod’<br />

fühlbar zu machen, ist das ‘Sterben’ gar nicht notwendig.“ 40 Die Todesverachtung, der Moment, der<br />

dem Tod vorausgeht, „die große Stille“ des „vollbrachten“ 41 Lebens ist der eigentliche Höhepunkt,<br />

und in ihm sind Schurken und Helden einander gleich: „Wenn er dem Tod ruhig entschlossen ins<br />

Auge blickt, das ist irgendwie für sich schon fast mystisch schön. [...] dass hier der Tod die<br />

Vollkommenheit des Lebens ist, tritt bereits vor dem körperlichen Tod ein und wird dem<br />

Betreffenden selbst bewusst.“ 42 Schon die Antizipation des Todes schaffe, so will Balázs sich selber<br />

glauben machen, die mystische Einheit, die Verwandlung der empirischen Realität des Lebens in den<br />

pansymbolischen Kosmos der Transzendenz.<br />

„Wann greift der Künstler nach den Lebenserscheinungen? Dann, wenn er sie als rein symbolische<br />

Erscheinungen, als traumhafte Visionen empfindet. Wenn das Leben zum Traum wird, dann ist der<br />

Traum zum Leben geworden.“ 43 Es geht ihm um den „erlebten“ Tod, also letztlich um das, was<br />

Georges Bataille später als „kleinen Tod“ in der Erotik und den „rites des passages“, den<br />

Initiationsriten, ausgemacht hat, mit radikaleren und pathetischeren Worten als Balázs: „Das Sein<br />

wird uns gegeben in einem unerträglichen Überschreiten des Seins, das nicht weniger unerträglich ist<br />

als der Tod. Und da das Sein uns im Tod zur gleichen Zeit, da es uns geschenkt, auch wieder<br />

genommen wird, müssen wir es im Erleben des Todes suchen, in jenen unerträglichen Momenten, in<br />

denen wir zu sterben glauben, weil das Sein in uns nur noch Exzeß ist, wenn die Fülle des<br />

Schreckens und die der Freude zus<strong>am</strong>menfallen.“ 44<br />

Wohin zielt diese Ästhetik des Traumes, die Balázs hier andeutet? Auch dann, wenn Balázs <strong>am</strong> Ende<br />

seiner „Todesästhetik“ schreibt, dass das Anorganische der Natur für den Menschen indifferent sei,<br />

40<br />

Balázs, „Halálesztétika“, S. 300.<br />

41<br />

Ebd., S. 309.<br />

42<br />

Ebd., S. 308. Im Tagebuch findet sich das entsprechende Motiv schon im Dezember 1903. „Warum ist die<br />

Todesverachtung schon für sich so schön?“, fragt Balázs und antwortet mit der kitschigen Szenerie eines<br />

rauschhaften K<strong>am</strong>pfes, von „Frühlingswald“ und Stahlgeräusch, vom letzten Gefecht eines blondgelockten<br />

Jünglings, der „lachend in den sicheren Tod“ rennt. „Was immer die Sache sein möchte, für die dieser Jüngling<br />

kämpfte. Auch wenn er ein Räuberhauptmann war! Daher kommt, dass auch der Räuberhauptmann seine eigene<br />

Poesie hat. Warum ist die Todesverachtung schön? Ob sie dasselbe bedeutet wie die Verachtung des Lebens. -<br />

Die Antwort fühle ich, kann sie jetzt aber noch nicht formulieren. Vielleicht morgen.“ (Balázs, Napló 1903-1914,<br />

S. 17. Eintrag vom 25.12.1903)<br />

43<br />

Balázs, „Halálesztétika“, S. 307.<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!