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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Balázs’ Märchen seien so zugleich romantische Neuinterpretationen der alten Stoffe, wie auch<br />

spielerische Realisierungen der von Balázs und Lukács herbeigesehnten Vermählung von Metyphysik<br />

und Wirklichkeit, in Lukács’ Augen ein literarisches Experiment seiner eigenen Essayistik. „Die<br />

Homogenität des Märchens ist bedingungslos, sie weist nicht über die Immanenz hinaus, kennt weder<br />

Problem noch Dissonanz.“ 124 Das Märchen, aus anderem Stoffe gemacht, spielt auf einer<br />

Wirklichkeitsebene, „für die die Axiome unseres Daseins keine Gültigkeit haben“. 125<br />

Ähnlich wie später Max Lüthi grenzt Lukács die Märchenform vom Glauben der Legende und vom<br />

Geisterhaften der Sage ab. Dort dringt das Transzendente, das völlig Unverständliche auf entweder<br />

tröstende, durch den Glauben aufgefangene Weise, oder erschreckend, durch Mythos und Schicksal<br />

wirkend in unsere empirische Realität ein. Den Ort des Märchens aber bestimmt Lukács jenseits der<br />

Dualität von Empirie und Metaphysik. 126 Und dieser Ort ist der Ort der Magie, ein Schwebezustand,<br />

eine Welt der „grenzenlosen inneren Leichtigkeit“ und „Schwerelosigkeit“. 127 Diese „in Richtung der<br />

Magie tendierende Intention ist die Erklärung dafür, dass wir nur im Märchen absolut Neues finden<br />

(auch wenn das Märchen gerade deshalb die wahre Ur-Gattung ist).“ 128 Absolut Neues, etwas das<br />

wir nicht selbst aus uns schaffen können, das immer schon da war, also nirgends und niemals, das<br />

der Wirklichkeit als ganzer als etwas „radikal Neues“ gegenübersteht, das kann auch für Lukács nur<br />

„Ergebnis des Findens und nicht des Erfindens“ 129 sein.<br />

Das Märchen derart als „totale“ Chiffre der Freiheit interpretierend, setzt Lukács Magie und Mythos<br />

scharf gegeneinander. „Die magische Transzendenz [...] ist absolut, und weil sie absolut ist, fehlt ihr<br />

notwendigerweise jedes Grausige und Furchterregende,“ 130 die Schwere und der Schrecken des<br />

Schicksals. „Die Magie (und mit ihr das Märchen) ist älter als die Wirklichkeit, auch als die<br />

Metaphysik“ 131 , sie gehört einer Existenz vor jenem „Ursprung“ an, von dem der Mythos erzählt, es<br />

„entst<strong>am</strong>mt einer Epoche der Wirklichkeit vor der Wirklichkeit“. 132<br />

124<br />

Ebd., S. 105.<br />

125<br />

Ebd.<br />

126<br />

„Das Märchen ist vollkommen unabhängig von der Wirklichkeit, sowohl von der Empririe als auch von der<br />

Metaphysik.“ (Ebd., S. 109)<br />

127<br />

Ebd., S. 112.<br />

128<br />

Ebd., S. 106.<br />

129<br />

Ebd., S. 109.<br />

130<br />

Ebd., S. 109.<br />

131<br />

Ebd., S. 114.<br />

132<br />

Ebd., S. 115. „Das Märchen ist die tiefsinnigste Allegorie, aber eine solche, deren Sinn nicht nur<br />

verlorengegangen, sondern auch nie mehr auffindbar ist.“ (Ebd.)<br />

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