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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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jedes Werk eines Künstlers das Ganze, „reicht also bis an den Tod heran. Nur durch den Tod<br />

bekommt es Sinn.“ 38 Kunst erscheint derart als Ausdruck einer metaphysischen Ahnung, die auf die<br />

Transzendenz verweist, auf das Jenseits des Strandes, der der Insel ihre Form gibt. Und so ist für<br />

Balázs der Tod konstitutiv für alle Kunst, Bedingung ihres Seins. Jene Sphäre des „Anderen“, jenes<br />

„Jenseits des Strandes“ ist nun keineswegs der primäre Gegenstand von Balázs’ Interesse, ist nicht<br />

das Ziel seiner Beschäftigung mit Spiritualismus und Mystik, ist kein Ort, an den er gelangen will. 39<br />

Für ihn ist jene Sphäre des Jenseitigen, die Ahnung der Transzendenz „dazu da“, gerade dem Leben<br />

Form zu geben. Nicht das Leben ist Stoff für die Kunst, sondern die Kunst ist Form des Lebens.<br />

Wirklichkeit wird, steht der Tod zum Leben, sondern unser Leben wird zu dem, als was wir es kennen, überhaupt<br />

nur dadurch geformt, daß wir, wachsend oder verwelkend, auf der Sonnenhöhe des Lebens wie in den Schatten<br />

seiner Niederungen, immer solche sind, die sterben werden.“ (Georg Simmel, Rembrandt. Ein<br />

kunstphilosophischer Versuch. Leipzig: Kurt Wolff Verlag, 1916, S. 90) Ob Simmel hier an Balázs anknüpft, oder<br />

Balázs sich auf Bemerkungen Simmels im Seminar bezieht, muss offen bleiben. Simmels an Balázs’ Essay<br />

erinnernde Deutung des Verhältnisses von Leben und Tod gipfelt in einer Wendung, die sich scheinbar von<br />

Balázs entfernt. Er deutet Leben und Tod als relativen Gegensatz, „umgriffen vom Leben in dessen absoluten<br />

Sinne“ (S. 92). Doch auch Balázs’ Tod, der das Leben umgreift, ist, nimmt man seine Metapher ernst, kein Nichts<br />

und auch keine Wüste des Anorganischen, sondern ein Strom sich vereinigender Seelen, ein durchaus<br />

lebendiges Jenseits. Eben ein bewegtes Meer.<br />

Schon 1910 schrieb Simmel in der Zeitschrift Logos „Zur Metaphysik des Todes“: „Das Leben fordert von sich<br />

aus den Tod, als seinen Gegensatz, als das ‘Andere’ [...]. D<strong>am</strong>it aber erhebt sich über sie ein Höheres, Werte und<br />

Spannungen unseres Daseins, die über Leben und Tod hinaus sind [...], in denen aber das Leben eigentlich erst<br />

zu sich selbst, zu dem höchsten Sinne seiner selbst kommt.“ (Georg Simmel, „Zur Metaphysik des Todes“, in:<br />

ders., Das Individuum und die Freiheit. Essays. Berlin: Wagenbach, 1984, S. 32) Simmel geht hier noch einen<br />

Schritt weiter und identifiziert grundsätzlich die Möglichkeit jedes Werts und jedes Inhalts mit der Erfahrung des<br />

Todes: „Lebten wir ewig, so würde das Leben voraussichtlich mit seinen Werten und Inhalten undifferenziert<br />

verschmolzen bleiben“ (S. 33).<br />

38 Balázs, „Halálesztétika“, S. 295. Dreißig Jahre später wird Walter Benj<strong>am</strong>in im Pariser Exil in seinem Aufsatz „Der<br />

Erzähler“ den Verlust mitteilbarer Erfahrung zwischen den Hekatomben des Weltkrieg und der Verbannung des<br />

Todes aus dem Alltag mit dem Niedergang der Erzähltradition verbinden. „Der Tod ist die Sanktion von allem, was<br />

der Erzähler berichten kann. Vom Tode hat er seine Autorität geliehen.“ (Walter Benj<strong>am</strong>in, „Der Erzähler“ [1936],<br />

in: ders., Ges<strong>am</strong>melte Schriften. II.2 [werkausgabe Band 5]. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1980, S. 450)<br />

Tradierbare Form nehme das Leben <strong>am</strong> Sterbenden an. „So wie im Innern des Menschen mit dem Ablauf des<br />

Lebens eine Folge von Bildern sich in Bewegung setzt [...], so geht mit einem Mal in seinen Mienen und Blicken<br />

das Unvergeßliche auf und teilt allem, was ihn betraf, die Autorität mit, die auch der ärmste Schächer im Sterben<br />

für die Lebenden um ihn her besitzt. Am Ursprung des Erzählten steht diese Autorität.“ (S. 449f.)<br />

39 Explizit äußert sich Balázs 1915 im Kontext der Diskussionen im Sonntagskreis zu seinem Interesse an<br />

Theosophie und Okkultismus. „Mannheim fiel neulich wegen meines Interesses <strong>am</strong> Okkulten über mich her. Bloße<br />

Sensationssuche, sagt er. Wie könnte dieses Mehr das Niveau und den Wert meiner Kenntnisse heben? [...] Ich<br />

habe geantwortet: ich bin nicht an etwas ‘jenseits der Welt’ interessiert, sondern an dem Diesseits, aber mits<strong>am</strong>t<br />

ihrer Relation zum Jenseits, weil diese Relation all meine Kenntnisse, die das Diesseitige betreffen, umwertet. [...]<br />

Die Tatsache des Sehens und Hörens ist wichtiger als alles Sichtbare und Hörbare. Ich will keine neuen Stimmen,<br />

sondern neue Ohren, kein neues Bild, sondern neue Augen. Darüberhinaus wäre ich auf das Jenseits nicht<br />

neugierig, wenn ich es in dieser Welt nicht sehen, erfahren würde. Negativ. In Form des Mangels, des<br />

Ungenügens von Sinn und Erklärungen. [...] Alles, was wir heute über die Welt des Okkulten wissen können, was<br />

ich erfahren kann, ist nicht die Wahrheit, deutet nur ihren Ort an. Ist Hilfskonstruktion, Symbol. [...] Die<br />

jenseitigen Brückenpfeiler kann ich nicht sehen. Aber die Brücke muss ich sehen, um zu wissen: ich bin auf einer<br />

Insel und nicht isoliert!“ (Balázs, Napló 1914-1922, S. 125f.)<br />

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