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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Die so entstehende Poesie des Märchens beschreibt Max Lüthi nachdrücklich als eine visuelle<br />

Poesie. Geruchs-, Geschmacks- und Tasteindrücke, aber auch akustische Phänomene treten im<br />

Märchen weit hinter das Optische zurück. Die Märchen schaffen eine Welt „optische[r] Klarheit“. 95<br />

Während die Sage die Menschen in ihre Umwelt, in den Raum der sie umgibt, verwebt, ihnen im<br />

Ringen mit dem über sie kommenden Geschick innere Tiefe verleiht, führt die Psychologie des<br />

Märchens zur Projektion in die Fläche. Das Märchen „projiziert [...] die verschiedenen<br />

Möglichkeiten wieder nach außen; es verteilt sie auf verschiedene Figuren und stellt diese<br />

nebeneinander“ 96 , und dies - Lüthi bedient sich hier, ohne jemals diese Assoziation selbst thematisch<br />

zu machen, ganz selbstverständlich der Metapher des Kino - „ähnlich wie der Märchenerzähler seine<br />

Geschichte auf die Imaginationsleinwand seiner Hörer zu werfen bestrebt ist“. 97 Charakteristischer<br />

Ausdruck dieser unbegrenzten Kraft visueller Imagination seien, so Lüthi, „jene Kleider, auf denen,<br />

wie n<strong>am</strong>entlich in griechischen und italienischen Märchen, ‘alle Blumen der Erde’ oder ‘alle Wellen<br />

des Meeres’ zu sehen sind, Gewänder, in die ‘der Himmel mit den Sternen’ oder ‘die Erde mit den<br />

Kräutern’, ‘das Meer mit den Fischen’ hineingestickt sein oder auch ‘das Meer mit den Fischen und<br />

den Schiffen’ [...]. Dies ist die Art, wie im Märchen Mensch und Natur sich verbinden. Er nimmt sie<br />

auf in sein Kleid, er trägt sie an seinem Gewand - Bild seiner Möglichkeit, zu allem in Beziehung zu<br />

treten.“ 98<br />

Auch Balázs wird noch einen solchen „Mantel der Träume“ weben.<br />

7.2 „Das Spiegelbild seines Spiegelbildes“<br />

Königswege zur Identität<br />

Vorerst aber ist Balázs noch immer auf Identitätssuche. Das Märchen, das 1918 den Band Het<br />

Mese (Sieben Märchen) eröffnet, hat er Anna Schl<strong>am</strong>adinger gewidmet, die als Prinzessin<br />

Anangaraga nun auch endlich für die Erlösung des Helden von seiner Promiskuität sorgen soll.<br />

Balázs hatte das Märchen „Die drei getreuen Prinzessinnen“ vermutlich Anfang 1914 geschrieben, als<br />

Anna und er einander in der theosophischen Gesellschaft begegneten. Seine Erzählung führt den<br />

indischen König Suryakanta durch die Stationen eines Initiationsritus, der mit dem Verlust seiner<br />

95 Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 56.<br />

96 Lüthi, „Märchen und Sage“, S. 32.<br />

97 Max Lüthi, „Volkskunde und Literaturwissenschaft“ [1958], in: ders., Volksmärchen und Volkssage, S.173.<br />

98 Lüthi, Das Volkmärchen als Dichtung, S. 27f.<br />

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