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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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sondern die geformte, umgrenzte, verfestigte. Nicht die duftende und tönende, sondern die dem<br />

Auge klar sichtbare.“ 84 So entwickeln die Requisiten im Märchen eben jenes Eigenleben, jenen<br />

Pansymbolismus der Dinge, der auch die Ästhetik des Kinos bestimmen wird. „Dinge, Menschen,<br />

Jenseitige sind wirklich zu reinen Figuren, geworden.“ 85 Sie bewegen die Handlung und d<strong>am</strong>it die<br />

Menschen, so wie sie selbst von ihnen als Medium der Wünsche bewegt werden, jederzeit mit<br />

Bedeutung aufgeladen, symbolische Qualität gewinnen können. Oft ist es der Vorgang der<br />

Symbolbildung selbst, der im Märchen als Szene entfaltet wird, so wenn der Held der „Tochter des<br />

Sonnenaufgangs“ begegnet, die er von Ferne für ein schönes Feuer hält und belehrt wird: „Dieses<br />

Feuer ist ein Weib.“ 86 Und Lüthi betont, dass diese Rolle der Dinge in den Märchen unser Verhältnis<br />

zu den realen Dingen unserer „nichtmenschlichen Umgebung“ widerzuspiegeln und zugleich zu<br />

beleben vermag. Indem „die unbelebten Dinge [...] uns erlauben, uns von ihnen abzugrenzen“, helfen<br />

sie „unser Identitätsgefühl zu stiften und [zu] erhalten; wir stehen weder im leeren Raum noch sind wir<br />

unablässiger Veränderung ausgeliefert.“ 87 Der Umgang mit den Dingen im Märchen aber befreie vor<br />

der Gefahr den Dingen zu verfallen: sie sind dem Märchenhelden „zur Hand, sobald es nottut. Er ist<br />

durch sie nicht belastet, er handhabt sie leicht, sein Verhältnis zu ihnen spiegelt seine grundsätzliche<br />

Isolation und potentielle Allverbundenheit. Die Fesselung an Ding-Besitz als Pseudo-<br />

Identitätsgarantie fällt bei ihm weg.“ 88<br />

Allverbundenheit ist das Kennzeichen des Märchenhelden. Jenseits aller Standesunterschiede,<br />

unbelastet von sozialen Bindungen, beruflicher Tätigkeit, f<strong>am</strong>iliären Verpflichtungen ist der in die Welt<br />

hinaus gewanderte, der „unbeschwerte“ Märchenheld fähig, überall Anschluss zu finden, „bereit und<br />

frei zum Eintritt in jedes Zus<strong>am</strong>menspiel“. 89 Unbeschwert, das heißt schwerelos lässt der<br />

Märchenheld sich in den homogenen Kosmos fallen. „Nicht die zielbewußte, intelligente, planmässige<br />

84 Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 28. Anders als in der Sage, in der Töne und Gerüche ein große Rolle<br />

spielen.<br />

85 Max Lüthi, “Das Märchen“ [1951], in: ders., Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen erzählender<br />

Dichtung. Bern/München: Francke, 1975 (1961), S. 15.<br />

86 Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 20. Oder wenn die Pechmarie in der Frau Holle ihre Strafe erleidet<br />

und eine Metonymie (die Berührung mit dem Pech) sich in eine Metapher verwandelt.<br />

87 Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 165.<br />

88 Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 165.<br />

89 Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 86. Dieses Prinzip der Allverbundenheit geht Hand in Hand mit der<br />

Vorliebe des Märchens für stumpfe Stellen, also nicht ausgeführte, offen bleibende Motive, und<br />

Wiederholungen. Nicht Wiederholungszwang, sondern Wiederholungsfreude sei <strong>am</strong> Werk:<br />

„Im Taumel der Wiederholungen wird dem Hörer die Schönheit der Dinge mit fast magischer Karft suggeriert“<br />

(Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 34).<br />

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