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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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verantwortungsvollen Ereignisses, das letztlich auf einen Initiationsvorgang hinweist. Immer wieder<br />

stößt man auf Initiationsprüfungen (K<strong>am</strong>pf gegen ein Ungeheuer, scheinbar unüberwindliche<br />

Hindernisse, aufgegebene Rätsel, unmöglich zu erfüllende Aufgaben), auf Höllen- und Himmelfahrt<br />

oder auf Tod und Auferstehung [...], und auf die Hochzeit mit der Prinzessin.“ 66 So wende das<br />

Märchen die „schrecklich ernste Wirklichkeit der Initiation“ 67 in eine Sphäre ironischer Leichtigkeit,<br />

wiederholt „mit neuen Ausdrucksmitteln das exemplarische Initiationsschema [...]. Es überträgt die<br />

Initiation auf die Ebene des Imaginären.“ 68<br />

Der Schweizer Märchenforscher Max Lüthi hat die ästhetischen und anthropologischen<br />

Fragestellungen der Märchenforschung in den bislang wohl vielschichtigsten Arbeiten zu diesem<br />

Thema zu synthetisieren versucht. Auch seine Beobachtungen zum Stil des Märchens und dem von<br />

ihm vorgestellten Menschenbild kreisen um die zentrale Figur der Initiation, den „kleinen Tod“ der<br />

Verwandlung, des Zauberschlafs und der Traumreise, die der wandernde Märchenheld zu<br />

überstehen hat. Im Durchgang durch eine „Periode der Entfremdung, des Verwunschenseins“ 69 wird<br />

der Held, die Heldin des Märchens verwandelt, auf eine höhere Stufe der Existenz gehoben. Dabei<br />

zögert Lüthi aber, das Märchen nur genetisch auf den Initiationsritus zu beziehen.<br />

Ob wie im Rapunzelmärchen das junge Mädchen im „Pubertätsturm“ 70 abgesondert wird, oder die<br />

„wunderschöne Königstochter Trude“ in einem russischen Märchen nach einer Liebschaft mit einem<br />

sechsköpfigen Drachen entzweigeschnitten, vom Gewürm befreit, wieder zus<strong>am</strong>mengenäht und mit<br />

Lebenswasser wiedererweckt wird 71 , „die Gefährlichkeit aller Übergänge erfordert besondere ‘rites<br />

des passage’. [...] Es ist kein Zweifel, daß Märchen und Riten einander spiegeln; doch läßt sich nicht<br />

in jedem Falle das eine vom andern ableiten; beide gehen auf menschliche Urerlebnisse zurück.“ 72<br />

Max Lüthi unterscheidet scharf zwischen Märchen und Sage, in denen das Verhältnis zwischen<br />

Diesseits und Jenseits grundlegend verschieden gestaltet sei: „Die Sage teilt die Welt in eine profane<br />

66<br />

Eliade, „Wissenschaft und Märchen“, S. 318.<br />

67<br />

Ebd.<br />

68<br />

Ebd.<br />

69<br />

Max Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung. Ästhetik und Anthropologie. Düsseldorf/Köln: Eugen Diederichs,<br />

1975, S. 160.<br />

70<br />

Max Lüthi, „Rapunzel“ [1958/9], in: ders., Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen erzählender<br />

Dichtung. Bern/München: Francke, 1975 [1961], S. 94.<br />

71 Siehe Lüthi, Das Volksmärchen als Dichtung, S. 16.<br />

72 Lüthi, „Rapunzel“, S. 94.<br />

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