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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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als die mythische ‘Rechtsordnung’, mögen auch seine literarischen Zeugnisse jünger sein.“ 57 D<strong>am</strong>it<br />

aber bindet Benj<strong>am</strong>in zugleich Vernunft und Wunderglauben aneinander, die List die den Bann der<br />

Schicksalsmächte überwindet und das unbedingte Vertrauen, das sich Preisgeben an ein<br />

Getragensein durch die Schöpfung, die Rationalität des gebundenen Odysseus und die Taubheit<br />

seiner Seeleute.<br />

Hatte Vladimir Propp in seiner Morphologie das Zaubermärchen als eine Struktur, ja als einen<br />

Narrativ der listig absolvierten Aufgaben identifiziert, so hat er seine Theorie über den Ursprung der<br />

Zaubermärchen in seinem, zum Zeitpunkt der Kontroverse mit Lévi-Strauss noch gar nicht<br />

übersetzten Werk über Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens von 1946 niedergelegt. 58<br />

Anders als Benj<strong>am</strong>in verknüpft Propp die List des Märchens nicht mit der Erinnerung an eine<br />

vormythische Zeit, sondern mit den Erfahrungen der Traumreisen des Initiationsritus. 59 Die Figur der<br />

Überfahrt in ein anderes Reich, erst recht die Isolierung der Helden und ihre Wanderungen durch<br />

den geheimnisvollen Wald, ihre Konfrontation mit Prüfungen, Zauberwesen und Zaubergaben führt<br />

„an das Tor des Todes“. 60 Propp sieht darin die Spuren des Ritus, „der mit diesen Vorstellungen<br />

[vom Tod] eng verknüpft ist, nämlich der Ritus der Initiation von Jugendlichen bei Eintritt der<br />

Geschlechtsreife“. 61<br />

„Propp sieht in den Märchen Reste totemistischer Initiationsriten“ 62 , fasste Mircea Eliade zehn Jahre<br />

später zus<strong>am</strong>men und bekräftigte diese u.a. auch von Bruno Jöckel (1948) 63 , Otto Huth (1950) 64<br />

und Wilhelm Laiblin (1956) 65 vertretene These nachdrücklich. Auch wenn das Zaubermärchen den<br />

Charakter von Unterhaltungsliteratur angenommen habe und für den Stadtmenschen ein Mittel der<br />

Flucht geworden sei, trage es doch „unverändert die Struktur eines sehr bedeutenden und<br />

57<br />

Walter Benj<strong>am</strong>in, Ges<strong>am</strong>melte Schriften. II.3 [werkausgabe Band 7], S. 1263.<br />

58<br />

Vladimir Propp, Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens. München: Hanser, 1987 [Originalausgabe:<br />

Istoriéceskie korni volésebnoj skazki, 1946].<br />

59<br />

Den Ursprung des Märchens als Gattung, den Beginn des „Prozesses der Verwandlung des Mythos in das<br />

Märchen“ verbindet Propp, wie nach ihm Eliade, mit der „Loslösung des Sujets und des Akts des Erzählens vom<br />

Ritual“ (ebd., S. 458).<br />

60<br />

Ebd., S. 60.<br />

61<br />

Ebd., S. 61. Propp beziegt sich dabei insbesondere auf Pierre Saintyves [d.i. Émile Dominique Nourry] Buch Les<br />

contes de Perrault et les récits parallèles (Paris 1923), der erste Hinweise auf diese Parallele geliefert hatte, ohne<br />

sie systematisch weiterzuverfolgen.<br />

62<br />

Eliade, „Wissenschaft und Märchen“, S. 312.<br />

63<br />

Bruno Jöckel, „Das Reifungserlebnis im Märchen“, in: Psyche, Jg. 1, H. 3 (1948), S. 382-395. Wiederabgedruckt<br />

in: Wilhelm Laiblin (Hg.), Märchenforschung und Tiefenpsychologie. Darmstadt: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft, 1995, S. 195-211.<br />

64<br />

Otto Huth, „Märchen und Megalithreligion“, in: Paideuma, Bd. V., H. 1-2 (1950), S. 12-22.<br />

65<br />

Wilhelm Laiblin, „Symbolik der Wandlung im Märchen“ [1956], in: ders. (Hg.), Märchenforschung und<br />

Tiefenpsychologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995, S. 345-374.<br />

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