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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Freuds Schüler Franz Riklin hatte 1908 als einer der ersten „Wunscherfüllung und Symbolik im<br />

Märchen“ systematisch zueinander in Beziehung gesetzt, und dabei Parallelen zwischen der<br />

„Psychologie der Märchen [und] der Vorstellungswelt des Traumes, der Hysterie [...] und der<br />

Geisteskranken“ 27 entdeckt. Vor allem erschien ihm die Tatsache, dass „es unmöglich sei, die Heimat<br />

der Volksmärchen zu eruieren [...], alle auf einen verblassten arischen Mythos zurückzuführen“ 28 , wie<br />

dies die Gebrüder Grimm noch versucht hatten, als Beweis dafür, dass die Märchen und ihre in aller<br />

Welt verwandten Motive auf allgemeine Bedürfnisse der menschlichen Psyche basierten. Riklins<br />

Beobachtungen, z.B. über die „Tendenz zur Identifikation mit dem Wunschobjekt [...] als ganz<br />

intensiver Grad des Wunscherfüllungserlebnisses“ 29 , oder seine Analysen der Funktion von<br />

„zauberreichen Gaben, Gegenständen und Eigenschaften [...] welche die menschliche<br />

Wunschphantasie geschaffen hat“ 30 , versuchen dem symbolischen Vokabular des Märchens mit den<br />

Mitteln der Freudianischen Traumdeutung näher zu kommen. Riklins Perspektive ist d<strong>am</strong>it zugleich<br />

allzu eng auf die Dechiffrierung sexueller Symbole beschränkt.<br />

Keine andere poetische Ausdrucksform, keine andere narrative Tradition, auch nicht Mythos und<br />

Sage, fußt auf einer vergleichbar intensiven und unmittelbaren Interaktion zwischen Erzähler und<br />

Zuhörer, Autoren und Rezipienten wie das Märchen, das nicht nur individuelle Wunschphantasien<br />

einer kollektiven Erzähltradition einverlebt, sondern ihnen scheinbar auch spontan zu folgen versteht.<br />

„Dem Wunsch des Hörers wird ein eminenter Einfluß auf die Entwicklung der Handlung<br />

zugestanden - das ist eine einzig im Märchen zu beobachtende Eigenheit der Darstellungstechnik.“ 31<br />

Walter Benj<strong>am</strong>in hat in seinem Aufsatz „Der Erzähler“ die mündliche Überlieferung, insbesondere der<br />

Märchen, als einen Prozess des Erzählens und Wiedererzählens geschildert, der in den Arbeitsalltag<br />

der Menschen und den Wechsel der Generationen integriert war. „Geschichten erzählen ist ja immer<br />

die Kunst, sie weiter zu erzählen, und die verliert sich, wenn die Geschichten nicht mehr behalten<br />

werden. Sie verliert sich, wenn nicht mehr gewebt und gesponnen wird, während man ihnen lauscht.<br />

Je selbstvergessener der Lauschende, desto tiefer prägt sich ihm das Gehörte ein. Wo ihn der<br />

27 Franz Riklin, „Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen“, in: ders., Schriften zur angewandten Seelenkunde.<br />

Bd. 2. Leipzig/Wien: Deuticke, 1908, S. 3.<br />

28 Ebd., S. 5.<br />

29 Ebd., S. 13.<br />

30 Ebd., S. 17.<br />

31 Ebd., S. 62.<br />

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