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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Bettelheim bindet diese in den Märchen entfaltete symbolische Szene des Übergangs sowohl an reale<br />

Erinnerungen an vergangene Stufen der Persönlichkeitsbildung und ihre Überwindung, wie auch,<br />

Mircea Eliade zitierend, daran, „daß Mythen und Märchen von Initiations- und Übergangsriten<br />

abgeleitet wurden oder diesen symbolischen Ausdruck geben - gemeint ist zum Beispiel der<br />

metaphorische Tod eines alten, unzulänglichen Selbst, das auf einer höheren Daseinsebene<br />

wiedergeboren wird.“ 18 Bettelheim differenziert hier kaum, stellt Mythen und Märchen auf eine<br />

Ebene, ähnlich wie auch Balázs es tut.<br />

Für beide, Bettelheim wie Balázs, versetzt das Märchen seine Zuhörer in einen traumhaften<br />

Schwellenzustand, es führt durch eben jene Welt außerhalb der Zeit, die auch Lukács in seinem<br />

Essay über die Märchen von Balázs’ benennt: „‘Es war einmal’, so fängt ein Märchen an - und was<br />

sich darin als Verneinung des Gegenwärtigen ausdrückt, das ist mehr als einfach dessen Fehlen, [...]:<br />

dieses ‘war’ ist keine Vergangenheit gewordene, nunmehr nicht aktuelle Gegenwart, sondern etwas,<br />

was nie gegenwärtig war, was - dem Wesen nach - nie zur Gegenwart, zum Gegenwärtigen werden<br />

kann.“ 19 Das Märchen erzählt davon, wie der Held oder die Heldin aus der Bahn geworfen wird,<br />

vom Weg abkommt, sich verirrt. „Der Inhalt jedes solchen Märchens ist das Sichverirren der Seele<br />

im unendlichen Land der Seele, ihre erschreckende Eins<strong>am</strong>keit in dem wunderträchtigen und ihr<br />

trotzdem fremden Einssein mit ihm und eine letzte, alles vergessenmachende Heimkehr, ein<br />

Hineinsinken in dessen homogenen Kosmos.“ 20<br />

Der Schwebezustand, den das Märchen beschwört, und Balázs’ mit dem Märchen verbundener<br />

Pansymbolismus, sie erinnern nicht von ungefähr an die Grundmotive der Magie, wie Marcel Mauss<br />

und Claude Lévi-Strauss sie beschreiben: die Funktion des Mana, des magischen Signifikanten, der<br />

jeden Sinn annehmen kann, als einen „flottierenden Signifikanten [...], der die Last alles endlichen<br />

Denkens (aber auch die Bedingung aller Kunst, aller Poesie, aller mythischen und ästhetischen<br />

Erfindung) ist“. 21 So stellt das magische Denken für Lévi-Strauss zugleich den bis heute wirks<strong>am</strong>en<br />

Ursprung und zugleich die Grenze aller Semiotik dar. „Tatsächlich ist das mana [das alle sich<br />

gegenseitig ausschließenden Eigenschaften annehmen kann] all dies zugleich - doch ist es das nicht<br />

gerade deswegen, weil es nichts von all dem ist: bloße Form oder genauer Symbol im Reinzustand<br />

18<br />

Ebd., S. 44.<br />

19<br />

Georg Lukács, „Hét mese“ [Sieben Märchen], in: ders., Balázs Béla és akiknek nem kell, S. 109.<br />

20<br />

Ebd., S. 118.<br />

21<br />

Lévi-Strauss, „Einleitung in das Werk von Marcel Mauss“, S. 39.<br />

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