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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Dies aber war genau Lukács’ Argumentation jener Jahre: die Kunst, das Werk, begriffen als „das<br />

Leben“ 27 , „das wirkliche Leben“ 28 , als wesenhafte Existenz, steht für Lukács im scharfen Gegensatz<br />

zum empirischen Leben, das der Entfremdung verfällt. Lukács’ Gedankenfigur sollte bald darauf<br />

eine dr<strong>am</strong>atische Steigerung erfahren, indem er die Kunst - als Erlösung antizipierende Totalität -<br />

kategorisch verwarf. In den ästhetischen Schriften seiner Heidelberger Jahre zwischen 1912 und<br />

1918 wird Lukács eben jene „Inselhaftigkeit“ der Kunst als „Unmoral der Kunst“ 29 , als<br />

„luziferisch“ 30 , als „Vollkommenheit auf Kredit“ 31 brandmarken. Lukács’ Weg und sein Diskurs mit<br />

Balázs in der Zeit bis zur ungarischen Rätediktatur wird im Rahmen dieser Arbeit noch genauer zu<br />

betrachten sein.<br />

In Lukács’ auf die Lebensphilosophie Simmels antwortenden Essays der Jahre 1908 bis 1910 ist es<br />

zunächst das empirische Leben - jene „Anarchie des Helldunkel“, jene „unreine Mischung“ in der<br />

„alles fließt“ 32 -, dessen Erlösungsbedürftigkeit im Zentrum steht und das Lukács zugleich im Zeichen<br />

des Individuellen, „der Seele“, und im Zeichen des Allgemeinen, „der Form“ zu überwinden versucht.<br />

Doch Lukács ist von Misstrauen gegenüber den Formen der Kunst erfüllt. Schon in seinen frühen<br />

Essays bleibt die Kunst, bleiben die „Formen“ auf die Erlösung durch die Kritik, durch den Essay<br />

verwiesen, der die im Kunstwerk sinnlich gegebene Utopie erst freizusetzen vermag, in permanente<br />

moralische Reflexion versetzt. „Das Kunstwerk, die erste Instanz des Prozesses, liefert also<br />

gleichs<strong>am</strong> die Anschauung der Utopie; nur durch das Kunstwerk ist überhaupt der ‘Gegenstand’<br />

gegeben, den zu ‘erkennen’ theoretisch, zu realisieren ‘praktisch’ die höchste Aufgabe ist.“ 33 Der<br />

Essay, die kritische Form ist, wie Christian Schneider hervorgehoben hat, gleichbedeutend mit dem<br />

ethischen Erlebnis, der Lebensform des Verzichts, des Opfers. Als Ausdruck einer metaphysischen<br />

Sehnsucht, die den utopischen Gehalt der Form, der Kunst erst zu entbergen und zu artikulieren<br />

vermag, ist für Lukács aber auch der Essay letztlich auf eine höhere Instanz synthetisierender<br />

27<br />

Georg Lukács, Die Seele und die Formen. Neuwied/Berlin: Luchterhand, 1971 [1911], S. 12.<br />

28<br />

Ebd., S. 219.<br />

29<br />

Balázs, Napló 1903-1914, S. 614. Eintrag im Herbst 1913.<br />

30<br />

Balázs vermerkte diese Formulierung Lukács’ zweimal in seinem Tagebuch: Balázs, Napló 1903-1914, S. 613<br />

(Herbst 1913), sowie Balázs, Napló 1914-1922, S. 130 (Eintrag vom 26.1.1915). Vgl. auch György Márkus, „Lukács<br />

‘erste’ Ästhetik: Zur Entwicklungsgeschichte der Philosophie des jungen Lukács“, in: Heller u.a., Die Seele und<br />

das Leben, S. 209.<br />

31<br />

Balázs, Napló 1914-1922, S. 130. Eintrag vom 26.1.1915.<br />

32<br />

Lukács, Die Seele und die Formen, S. 219.<br />

33<br />

Christian Schneider, Essay, Moral, Utopie. Ein Kommentar zur essayistischen Periode Georg Lukács’.<br />

Dissertation. <strong>Universität</strong> Hannover 1979. S. 63.<br />

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