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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Was hatten die Menschen eigentlich d<strong>am</strong>it gemeint?“ Erstaunlicherweise setzt Balázs New-York und<br />

Moskau eineinander gleich, ein <strong>am</strong>bivalentes Bild: als Inbegriff eines seelenfernen Rationalismus und<br />

zugleich einer den Individualismus der Seelen überwindenden Zukunft.<br />

Der Protagonist des Romans, Johannes Szegedi 291 , durchlebt im Laufe der Erzählung, allein und<br />

gemeins<strong>am</strong> mit seiner Geliebten Klara, die ihren Mann verlässt und mit ihm auf der Landstraße in ein<br />

anderes Leben wandern will, eine Reihe von Schlüsselszenen, die mitunter weniger romanhaft als<br />

filmisch-visuell aneinandergereiht sind, in einer Montage von szenischen Bildern, Briefen und einem<br />

Tagebuch. Es sind Szenen, die sich höchst <strong>am</strong>bivalent zwischen Phantasien der Verschmelzung und<br />

dem Versuch der Selbstbehauptung gegenüber der drohenden Auflösung des Körpers in die ihn<br />

umgebende Dingwelt entfalten, Szenen einer Initiation.<br />

Die Helden des Romans sind unterwegs, Auswanderer mit unbekanntem Ziel. Schon in einer<br />

Rückblende, in der Erinnerung, finden wir den siebzehnjährigen Helden Johannes Szegedi auf einer<br />

nächtlichen Straße. „Er ist allein in der Nacht, nur die Dinge, Bäume, Häuser, Flöße,<br />

Telegraphenstangen, die stummen Dinge drängen sich um ihn - Sie haben ihn umzingelt!<br />

Unabwendbar eindringlich sind sie da: heftig, fordernd, unerträglich!“ 292 Doch der junge Szegedi<br />

versteht die Sprache der Dinge nicht, die sich ihm in den Weg stellen und verlangen: „Etwas müßte<br />

getan werden! er weiß nicht was.“ 293 Am Morgen hatte er sich in der Schule verspätet, weil er sich<br />

von einem Haufen roter Ziegelsteine nicht trennen konnte, die den Anfang einer metonymischen<br />

291 Es ginge zu weit, das Buch als Schlüsselroman zu bezeichnen, auch wenn eine Reihe von Szenen sich fast<br />

identisch in Balázs’ Tagebuch wiederfinden lassen, insbesondere die Monate in Szabadka. Balázs selbst hat sich<br />

im Roman gleich mehrfach stilisiert. Neben Johannes Szegedi (dessen Nachn<strong>am</strong>e auf Balázs’ Geburtsstadt Szeged<br />

verweist und dessen unglückliche Liebe zur Geigerin Andrea Pittoni an Balázs’ Jugendschwarm Eszter Löw<br />

erinnert) ist auch der Dichter Béla Barna zu nennen, der sich, mit der Wahrheit über die von ihm geliebte Frau<br />

konfrontiert, erschießt. In die Reihe dieser autobiographisch motivierten Gestalten tritt schließlich auch der<br />

„Fährmann des Todes“, ein Lehrer, der <strong>am</strong> Palicser See (zwischen Szabadka und Szeged) wohnt und im Stillen<br />

revolutionäre Arbeit leistet. Früher hätte er Mysterien geschrieben. Doch nun sei seine „Seele mit ihren Mysterien<br />

in den großen Kraftkessel zurückgekehrt. [...] Es war der natürliche Lebenswille, weiterzufahren mit dem großen<br />

Zug.“ (Balázs, Unmögliche Menschen, S. 406) Auch ein Hohepriester des Kinematographen tritt in Balázs’ Roman<br />

auf, ein von seiner Kulturmission erfüllter Herr Kalács. Selbst dem nach dem Vorbild eines seiner Bekannten in<br />

Szabadka modellierten jüdischen Schulk<strong>am</strong>eraden des Helden, Arpad Zucker (der, wie Lukács, in Heidelberg hätte<br />

Privatdozent werden können), legt Balázs eigene Kindheitserinnerungen in den Mund. Diese aufgefächerte<br />

Perspektive fragmentarischer Selbstinszenierung entwickelt Balázs durchaus mit ironischen Mitteln, ob nun Herr<br />

Kalács sich vor dem fahlen Widerschein der Leinwand wie bei einer sakralen Handlung produziert oder der<br />

Dichter Barna mit gelbem Gesicht und starren Augen unangenehm um sich blickt, als sei er krank. Auch einige<br />

andere Figuren des Romans tragen Züge von Balázs nahestehenden Menschen. So beispielsweise Klara Lorx,<br />

geb. Almady, die von Anna Schl<strong>am</strong>adinger, Alice Ranky, genannt „Melusine im Zaubergarten“, die von Anna<br />

Lesznai, und Esti Tomola die der unglücklichen Eszter Grád.<br />

292 Balázs, Unmögliche Menschen, S. 55.<br />

293 Ebd.<br />

223

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