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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Psychoanalytiker, mit dem Balázs bis zu seinem Weggang nach Moskau 1931 freundschaftlich<br />

verbunden bleiben wird. 280<br />

Lukács hat ihm unterdessen das Manuskript der Theorie des Romans zu lesen gegeben. Balázs will<br />

das - wie er vermutet - auch an ihn angelegte Maß nur zu gern erfüllen, ja er träumt davon, das Erbe<br />

Dostojewskis anzutreten. Die Gestalten seines geplanten Romans sollen wie die Helden<br />

Dostojewskis die auf das souveräne Individuum zielende Teleologie des bürgerlichen Bildungsromans<br />

sprengen und sich als Kollektivwesen realisieren. Doch die Arbeit <strong>am</strong> Roman kommt nicht voran.<br />

Im März 1916 hat er noch immer nicht mit dem Schreiben begonnen und sein Tagebuch, seit<br />

November 1915 so regelmäßig geführt, wie lange nicht mehr, wird zum Protokoll seiner Ausflüchte:<br />

„Heute, <strong>am</strong> 14. März begann ich den Roman zu schreiben. Noch nicht mit dem Schreiben, aber<br />

heute schloß ich die Tür hinter mir.“ 281 Und <strong>am</strong> 22. März heißt es: „Der ganze Roman ist skizziert.<br />

Aber die Hauptfiguren sind noch nicht lebendig genug [...]. Bin schweinisch frivol. Und feige. Ich<br />

wage den Anfang nicht.“ 282 Balázs flieht vor dem Schreiben ins Kino, nicht um dort eine neue visuelle<br />

Poetik zu studieren, sondern um sich abzulenken. „Ich dagegen ins Kino“, so heißt es <strong>am</strong> 24. März.<br />

„Denn morgen, morgen fängt ernsthaft das Romanschreiben an und dann ist Schluß mit dem<br />

Leben.“ 283 Und drei Tage später notiert er: „Der Roman ist gleich zu Beginn steckengeblieben. Zum<br />

Verzweifeln, wie leer, unbedarft, wie tot mir alles, was ich niederschreibe erscheint. [...] nach dem<br />

Abendessen bin ich ins Kino gegangen. Ich verstecke mich vor der Arbeit. [...] Ich sehne mich nach<br />

einer Art brutaler tumber Einfachheit - so sehe ich die Dinge, so ‘höre’ ich das Märchen und das,<br />

was ich schreibe ist so spitzfindig kompliziert [...].“ 284 Am 1. April schreibt er zwar: „Der Roman hat<br />

begonnen. Ich weiß nicht, ob es gut ist oder nicht?“ 285 - aber die Klage nicht voranzukommen geht<br />

280 Am 15. März 1915 ist zum ersten Male in Balázs’ Tagebuch von Spitz die Rede, von seiner „jüdischen<br />

Sensibilität“ und Geistesgegenwart, seiner britischen Gentleman-Moral und seiner Liebe zu den Bergen - keine<br />

besondere Faszination ginge von ihm aus, sondern das Gefühl, sich auf ihn verlassen zu können. (Balázs, Napló<br />

1914-1922, S. 33f.)<br />

René Árpád Spitz (1887-1974), Psychoanalytiker, emigigriert 1919 nach Wien, nach 1933 Emigration nach paris.<br />

Lässt sich 1938 in den USA nieder. Spitz konzentrierte sich in seinen Forschungen auf die frühkindliche<br />

Entwicklung der Wahrnehmung, die Entstehung der ersten Objektbeziehungen und die Ontogenese der<br />

menschlichen Beziehungen.<br />

281 Ebd., S. 146. Eintrag vom 14.3.1916.<br />

282 Ebd., S. 148. Eintrag vom 22.31916.<br />

283 Ebd., S. 149. Eintrag vom 24.3.1916.<br />

284 Ebd., S.150. Eintrag vom 27.3.1916.<br />

285 Ebd., S. 152. Eintrag vom 1.4.1916<br />

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