12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

einem sich Fallenlassen in die „Machtfülle“ des sich völlig hilflos Gebärdenden - „a ‘sacred power’ of<br />

the meek, weak and humble“ 251 - der in einen neuen Zustand hinübergeboren werden soll. „Die<br />

Initiierten tun so, als ob sie weder laufen, noch essen könnten, kurz, als ob sie neugeboren (zu neuem<br />

Leben erwacht) wären und alle Verhaltensweisen des täglichen Lebens neu erlernen müßten.“ 252<br />

Auch Lévy-Bruhl hat die unterschiedlichen sozialen und symbolischen Operationen der Initiation als<br />

rituelle Neugeburt, als Prozess der Herstellung und Erneuerung der Partizipation zus<strong>am</strong>mengefasst,<br />

als Evokation eines Zustands „besonderer Empfänglichkeit [...], d<strong>am</strong>it die begehrte Partizipation sich<br />

vollziehe. Dieser Zustand der Empfänglichkeit besteht im wesentlichen in einer Art von<br />

Entpersönlichung, von Bewußtlosigkeit, die durch Ermüdung, durch Schmerz, durch Entkräftung,<br />

durch Entbehrungen hervorgerufen wird, kurz, in einem scheinbaren Tod, dem ein Zustand folgt, in<br />

welchem man sich wahrhaftig wie neugeboren fühlt.“ 253<br />

Victor Turner, der mit dem Instrumentarium Van Genneps in den fünfziger Jahren zunächst die<br />

sozialen, rituellen und symbolischen Strukturen der afrikanischen Kultur der Ndembus untersucht<br />

hatte 254 , begann in den sechziger Jahren d<strong>am</strong>it, auch die kulturellen Objektivationen der modernen<br />

Zivilisation auf Elemente ritueller Übergangsphänomene und deren Spuren zu untersuchen. 255 Turner<br />

251<br />

Turner, From Ritual to Theatre, S. 26.<br />

252<br />

Van Gennep, Übergangsriten, S. 84.<br />

253<br />

Léva-Bruhl, Das Denken der Naturvölker, S. 317.<br />

254<br />

Siehe Turner, The Forest of Symbols, darin insbesondere den schon 1964 veröffentlichten Aufsatz „Betwixt and<br />

Between. The Liminal Period in Rites de Passages“.<br />

255<br />

Den Übergang markiert das Buch The Ritual Process, Structure and Anti-Structure. Chicago: Aldine Publ. Co.,<br />

1969, in dem Turner die Gemeinschaftserfahrung des Rituals, den Zustand der „communitas“ als soziales<br />

Phänomen untersucht. Turner setzt hier und in den folgenden Büchern (Dr<strong>am</strong>as, Fields and Metaphors.<br />

Symbolic Action in Human Society. Ithaca/London: Cornell University Press, 1974; sowie: From Ritual to<br />

Theatre) dezidiert marxistischen „Überbautheoremen“ andere innovatorische Potentiale außerhalb<br />

gesellschaftlicher „Kernbereiche“ der Produktion gegenüber: in direktem Bezug auf jene rituellen Strukturen, die<br />

die Mobilität in „primitiven“ Gesellschaften sichern und deren Spuren sich heute in der Sphäre freier<br />

künstlerischer Produktion finden würden. Turner vergleicht d<strong>am</strong>it freilich „Innovation“ mit revolutionärer<br />

Veränderung und Mobilität mit gesellschaftlichen Widersprüchen. Dementsprechend allgemein bleibt so auch<br />

sein Versuch an Diltheys Begriff des „Erlebnis“ anzuknüpfen. „In a sense, every type of cultural performance,<br />

including ritual, ceremony, carnival, theatre and poetry, is explanation of life itself, as Dilthey often argued.“<br />

(Turner, From Ritual to Theatre, S. 13) Im „Erlebnis“ würde eine aktuelle Wahrnehmung mit abgelegten<br />

Erfahrungen der Vergangenheit konfrontiert, „‘meaning’ is generated by ‘feelingly’ thinking about<br />

interconnections between past an present events“ (S. 14), und sie konstituiere sich erst im kommunikativen<br />

Zus<strong>am</strong>menhang der Mitteilung. So beschreibt Turner den Prozess des „Erlebens“ selbst als einen Übergang: „If<br />

we put these various senses together we have a ’liminated’ semantic system focused on ‘experience’, which<br />

portrays it as a journey, a test (of self, of suppositions about others), a ritual passage, an exposure to peril or risk,<br />

a source of fear [...] Such an experience is incomplete, though, unless one of its ‘moments’ is ‘performance’, an act<br />

of creative retrospection in which ‘meaning’ is ascribed to the events and parts of expression - even if the<br />

meaning is that ‘there is no meaning’. Thus experience is both ‘living through’ and ‘thinking back’.“ (S. 17f.)<br />

216

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!