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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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esteht - als „emotionales Zeichen des Affekts und des sinnlichen Triebes“ - die Dinge selbst<br />

„anzusprechen“. 246<br />

Im intensiven körperlichen und emotionalen Anteil an der symbolischen Interaktionsform<br />

rekonstituieren sich Elemente jener „szenische[n] Einheit zwischen ‘Innen’ und ‘Außen’, zwischen<br />

dem Organismus und seiner Umwelt, d.h. in der Ontogenese vor allem zwischen dem embryonalen<br />

und dem mütterlichen Organismus“. 247 So vollzieht sich in der szenischen Einheit von Dingwelt und<br />

Bedeutung die Identitätsbildung im Ritus auch über die symbolisch-magische Verfügung über die<br />

Objektwelt.<br />

- Permissivität und Unterwerfung kennzeichnen schließlich die Bedingungen für embryonale<br />

Allmachtsphantasien, die einen zentralen Bestandteil vieler Initiationsrituale ausmachen. Im<br />

Mummenschanz oder im Erschrecken vor rauschhaften Visionen, im Sieg über den Tod, unter der<br />

Zucht eines Meister und unter Einhaltung strenger Regeln wird der Initiand in einen Zustand<br />

imaginärer Allmacht versetzt. Der liminale Schwebezustand wird so zu einem „instant of pure<br />

potentiality, when everything [...] trembles in the balance“. 248<br />

So leben die Initianden außerhalb der Gesellschaft, außerhalb ihrer sozialen und ethischen Regeln, in<br />

einem undefinierbaren und darum unberührbaren Zustand. „Die Gesellschaft hat keine Macht über<br />

sie.“ 249<br />

Der Status des Initianden ist geprägt von absoluter Unterwerfung unter den Ritus, ob als abstrakte<br />

Regel kodifiziert oder personifiziert durch die Autorität eines Meisters (Sch<strong>am</strong>anen, Priesters,<br />

Anführers etc.). 250 Diese Ambivalenz von Permissivität und Gefolgschaft wird durch ausschweifende<br />

Feste, Plünderungen und andere, die sonst geltenden Regeln der Gemeinschaft verletzende<br />

Handlungen unterstrichen. Allmachts- und Ohnmachtsgefühle gehen eine für kurze Zeiträume<br />

unauflösbare Verbindung ein. Es kommt zu einer Progression durch kontrollierte Regression, zu<br />

‘Auseimandersetzung’ zwischen Ich und Welt gefaßt, in dem die Grenzen der beiden sich erst bestimmt<br />

abscheiden, so ist ersichtlich, daß diese Aufgabe eine Fülle verschiedenartiger Lösungen in sich birgt.“ (S. 232)<br />

246<br />

Vgl. Arnold Gehlen, „Ein Bild vom Menschen“ [1942], in: ders., Anthropologische Forschung. Reinbek:<br />

Rowohlt, 1961, S. 52. Ähnlich wie Cassirer deutet Gehlen den Ursprung der Sprache als eine Laut-Bewegung, die<br />

sich einerseits auf die Dinge selbst richtet, gleichzeitig aber ein Symbol schafft, „das leicht mit dem Reiz<br />

verschmilzt, sie empfindet dabei zugleich sich selbst und in dem einen Eindruck auch den anderen, im Laut auch<br />

das gesehene Ding“. (S. 51) So schaffe die Lautbewegung zugleich eine distanzierende Zwischenwelt, die die<br />

Objekte und die von ihnen ausgehenden Reize entmachtet und sie zugleich in den unmittelbaren Wirkungskreis<br />

des Selbst hineinziehe: „An ihren N<strong>am</strong>en treten die Dinge in unser Inneres.“ (S. 51)<br />

247<br />

Alfred Lorenzer, „Tiefenhermeneutische Kulturanalyse“, in: ders. (Hg.), Kultur-Analysen. Psychoanalytische<br />

Studien zur Kultur. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Fischer Taschenbuch, 1986, S. 43.<br />

248<br />

Turner, From Ritual to Theatre, S. 44.<br />

249<br />

Van Gennep, Übergangsriten, S. 112.<br />

250<br />

„Between instructors and neophytes there is often a complete authority and complete submission; <strong>am</strong>ong<br />

neophytes there is often complete equality.“ (Turner, The Forest of Symbols, S. 99)<br />

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