Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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und ebenso der religiösen Initiation, doch die Magier widmen den Erzählungen über diese Auferstehungen eine größere Aufmerksamkeit als andere.“ 230 - Rauschzustände und ekstatische Verschmelzungserfahrungen sind üblicherweise Teil eines solchen rituellen Ablaufes und können durch Rauschmittel, aber auch durch Nahrungs- und Schlafentzug 231 , durch Tänze 232 , Schläge, Erniedrigungen und Entbehrungen aller Art erzeugt werden. Damit verbunden sind häufig - Träume und Visionen, die den Initiationsritus auch einleiten oder beenden können. 233 So beginnt in manchen afrikanischen Stämmen der Initiationsritus mit dem ersten erotischen Traum eines Jungen. Häufig nehmen diese Visionen den Charakter von Traumreisen an, imaginierten Flügen, dramatischen Ortswechseln, Begegnungen mit unheimlichen Wesen. Solche Visionen können auch für den Initianden inszeniert werden. Dazu gehören - Körperbemalungen und Maskentänze, in denen die Identität von Mensch und Tier in Frage gestellt und neu bestätigt wird. Solche Maskentänze können den Initianden auch in die spezifischen Riten eines Geheimbundes, einer Priesterkaste einführen, über die Mythen des Stammes belehren, eine Verbindung zum Totem des Stammes herstellen; sie können erschrecken und, in dem sie gelüftet werden, dem Initianden ihre Harmlosigkeit preisgeben und ihn so zum Eingeweihten machen. 234 Mit diesen Rauschzuständen, Visionen und Tänzen eng verbunden ist zumeist ein - Schwebezustand, der, wo nicht durch Rauschmittel, auch durch rituelles Herumtragen des Initianden bewirkt werden kann. Der Initiand, der für „eine bestimmte Zeit lang nicht den Boden berühren“ 235 darf, wird isoliert und man hält ihn in einer „Zwischenstellung - gewissermaßen zwischen Himmel und Erde - fest, ganz ähnlich wie ein Verstorbener auf seiner Bahre oder in seinem zeitweiligen Sarg zwischen Leben und endgültigem Tod schwebt“. 236 Schwebezustand und ritueller Tod sind meist gleichbedeutend mit einem Sprung in die - Zeitlosigkeit. „It is more than just a matter of entering a temple - there must be in addition a rite which changes the quality of time also, or constructs a cultural realm which is defined as ‘out of time’, 230 Mauss, Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie, S. 75. 231 Vgl. Van Gennep, Übergangsriten, S. 108. 232 „In der Bewegung ihres Tanzes und im Fieber ihrer Erregung durcheinandergewürfelt bilden sie nur noch einen einzigen Leib und eine einzige Seele. Erst dann ist also der soziale Körper wahrhaft realisiert, denn in diesem Augenblick sind seine Zellen, die Individuen, vielleicht ebenso wenig voneinander isoliert wie die des individuellen Organismus.“ (Mauss, Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie, S. 165) 233 Vgl. S. 156. 234 Vgl. S. 107. 235 Ebd., S. 137. 236 Ebd., S. 178. 213

i.e. beyond or outside the time which measures secular process and routines.“ 237 Der Ort, an den die Initianden verbracht werden, liegt außerhalb der Zeit, für ihn gelten andere Regeln als für die Gemeinschaft. So kennzeichnet die Initianden selbst eine kategorische - Undefiniertheit. Sie sind nackt und namenlos, oft dürfen sie während des Rituals nicht genannt werden. Erst nach vollendeter Initiation erhalten sie zumeist ihren endgültigen Namen. „The ritual subjects pass through a period and area of ambiguity, a sort of social limbo which has few [...] of the attributes of either the preceeding or subsequent profane social statuses or cultural states.“ 238 Diese - Gemeinschaft der Gleichen ist das Produkt eines „levelling process“ 239 , der sie ihrer sozialen Eigenschaften entkleidet. „I have mentioned certain indicators of their liminality 240 - absence of clothing and names, other signs including eating or not eating specific foods, disregard of personal appearance, the wearing of uniform clothing.“ 241 Es kommt zu einer „mystischen Solidarität“ zwischen ihnen. 242 Diese Kameradschaft der Initiandengruppe kann in vielen Fällen sonst streng beachtete Unterscheidungen von Rang und Alter, gesellschaftlicher Position oder gar Kastenzugehörigkeit überschreiten. Die Initianden werden zudem oft der Zeichen ihrer Geschlechtszugehörigkeit beraubt oder gar mit solchen des anderen Geschlechtes ausgestattet. Diese Auflösung festgelegter Attribute mündet in einen Pansymbolismus, der in rituellen Maskentänzen vertraute Elemente in grotesker Weise rekombiniert. 243 Es kommt zur lustvollen Erfahrung einer als primär empfundenen - magischen Symbolbildung, das heißt zur „Einheit von Interaktionsform und Sprachfigur“ 244 im Symbol, das sich von seinem szenischen Zusammenhang noch nicht abgelöst hat. Hand in Hand mit der Verleihung eines neuen Namens an den „wiedergeborenen“ Initianden geht auch die Reinszenierung der magischen Namensgebung gegenüber den Dingen, einer Sprach, die noch nicht den Charakter „repräsentative[r] Zeichen der Vorstellung“ 245 angenommen hat, sondern darin 237 Victor Turner, From Ritual to Theatre: The Human Seriousness of Play. New York: Performing Arts Journal Publ., 1982, S. 24. 238 Ebd. 239 Ebd., S. 26. 240 Liminality = Schwellenzustand (von lat. „limen“: Schwelle). 241 Ebd. 242 Vgl. Victor Turner, The Forest of Symbols. Aspects of Ndembu Ritual. Ithaca: Cornell University Press, 1967, S. 109f. 243 Vgl. Turner, From Ritual to Theatre, S. 27. 244 Alfred Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter - Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1984, S. 93. 245 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 1. Die Sprache. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1985 [1923], S. 89. Cassirer wendet sich zugleich gegen die Vorstellung der Sprache als „Werk einer bloßen Konvention“ (S. 90) und gegen die „Abbildtheorie“. „Wird die Sprache nicht mehr als eindeutiges Abbild einer eindeutig gegebenen Wirklichkeit, sondern als Vehikel in jenem großen Prozeß der 214

i.e. beyond or outside the time which measures secular process and routines.“ 237 Der Ort, an den die<br />

Initianden verbracht werden, liegt außerhalb der Zeit, für ihn gelten andere Regeln als für die<br />

Gemeinschaft. So kennzeichnet die Initianden selbst eine kategorische<br />

- Undefiniertheit. Sie sind nackt und n<strong>am</strong>enlos, oft dürfen sie während des Rituals nicht genannt<br />

werden. Erst nach vollendeter Initiation erhalten sie zumeist ihren endgültigen N<strong>am</strong>en. „The ritual<br />

subjects pass through a period and area of <strong>am</strong>biguity, a sort of social limbo which has few [...] of the<br />

attributes of either the preceeding or subsequent profane social statuses or cultural states.“ 238 Diese<br />

- Gemeinschaft der Gleichen ist das Produkt eines „levelling process“ 239 , der sie ihrer sozialen<br />

Eigenschaften entkleidet. „I have mentioned certain indicators of their liminality 240 - absence of<br />

clothing and n<strong>am</strong>es, other signs including eating or not eating specific foods, disregard of personal<br />

appearance, the wearing of uniform clothing.“ 241 Es kommt zu einer „mystischen Solidarität“<br />

zwischen ihnen. 242 Diese K<strong>am</strong>eradschaft der Initiandengruppe kann in vielen Fällen sonst streng<br />

beachtete Unterscheidungen von Rang und Alter, gesellschaftlicher Position oder gar<br />

Kastenzugehörigkeit überschreiten. Die Initianden werden zudem oft der Zeichen ihrer<br />

Geschlechtszugehörigkeit beraubt oder gar mit solchen des anderen Geschlechtes ausgestattet. Diese<br />

Auflösung festgelegter Attribute mündet in einen Pansymbolismus, der in rituellen Maskentänzen<br />

vertraute Elemente in grotesker Weise rekombiniert. 243 Es kommt zur lustvollen Erfahrung einer als<br />

primär empfundenen<br />

- magischen Symbolbildung, das heißt zur „Einheit von Interaktionsform und Sprachfigur“ 244 im<br />

Symbol, das sich von seinem szenischen Zus<strong>am</strong>menhang noch nicht abgelöst hat. Hand in Hand mit<br />

der Verleihung eines neuen N<strong>am</strong>ens an den „wiedergeborenen“ Initianden geht auch die<br />

Reinszenierung der magischen N<strong>am</strong>ensgebung gegenüber den Dingen, einer Sprach, die noch nicht<br />

den Charakter „repräsentative[r] Zeichen der Vorstellung“ 245 angenommen hat, sondern darin<br />

237 Victor Turner, From Ritual to Theatre: The Human Seriousness of Play. New York: Performing Arts Journal<br />

Publ., 1982, S. 24.<br />

238 Ebd.<br />

239 Ebd., S. 26.<br />

240 Liminality = Schwellenzustand (von lat. „limen“: Schwelle).<br />

241 Ebd.<br />

242 Vgl. Victor Turner, The Forest of Symbols. Aspects of Ndembu Ritual. Ithaca: Cornell University Press, 1967, S.<br />

109f.<br />

243 Vgl. Turner, From Ritual to Theatre, S. 27.<br />

244 Alfred Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter - Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. <strong>Frankfurt</strong><br />

<strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Fischer Taschenbuch, 1984, S. 93.<br />

245 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 1. Die Sprache. Darmstadt: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft, 1985 [1923], S. 89. Cassirer wendet sich zugleich gegen die Vorstellung der Sprache als „Werk<br />

einer bloßen Konvention“ (S. 90) und gegen die „Abbildtheorie“. „Wird die Sprache nicht mehr als eindeutiges<br />

Abbild einer eindeutig gegebenen Wirklichkeit, sondern als Vehikel in jenem großen Prozeß der<br />

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