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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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darf nicht sein, dass sie hier unsere Front durchbrechen. So lautet der Befehl. ‘Bis zum letzten<br />

Mann.’<br />

Wir steigen aus der Deckung und sehen uns in der verregneten, dunstigen Gegend um. Seit einer<br />

Woche sehen wir sie bis zum Überdruss. Was gibt es an ihr Neues zu sehen? Trotzdem scheint sie<br />

verändert. Jeder Grashalm ist von plastischer Schärfe und Wirklichkeit. Der Traumfilm ist stehen<br />

geblieben. Siehe, dort ist der Waldrand. Wir sehen ihn und genau an. Knorrige, alte Buchen. Und<br />

dahinter ist nichts, denn dahinter ist kein Rückzug.“ 183 Die Landschaft, zunächst als „vorbeifliegendes<br />

Bild ohne Realität“ mit der Disposition der Wahrnehmung in einem Eisenbahnzug verbunden 184 ,<br />

schließt sich um ihn, wird zur Burg, zu einem „intimen Zimmer“ 185 , verliert alles Schwebende,<br />

Bewegte, Unbegrenzte, Irreale. Er versucht die Schrecken des Krieges dr<strong>am</strong>atisch zu zeichnen, jene<br />

Momente der inneren Kämpfe, in denen die leidenden Soldaten darum ringen, inmitten der Gewalt<br />

ihre menschlichen Regungen zu bewahren. Joseph Zsuffa hebt hervor, dass Balázs’ Schilderung eine<br />

geschärfte visuelle Wahrnehmung kennzeichnet, so z.B. eine Szene, in der verwundete Soldaten in<br />

einer kroatischen Bauernhütte jeden Tag die Ex<strong>am</strong>inierung durch den Arzt fürchten, der diejenigen,<br />

die die Fliegen nicht mehr von ihren Augen verscheuchen, in einen zweiten Raum abtransportieren<br />

lässt, in dem nur noch gestorben wird. Balázs beschreibt die Qual eines Schützen, der mit letzter<br />

Kraft die Fliegen von den Augen seines Nachbarn vertreibt. „Das war der schrecklichste K<strong>am</strong>pf,<br />

den ich sah.“ 186 In der Nacht sterben beide.<br />

Balázs hat später, im Krankenhaus fern von der Front, erfahren, dass sein ganzes Regiment<br />

ausgelöscht worden sei. Eine seiner Novellen, die 1918 in dem Buch Kalandok és figurák erschien,<br />

beschreibt eine Begegnung mit den Toten: „Das andere Lager“. Auch dies ist ein „Traum-Film“, aber<br />

ein traumatisierter, ein „Traum-Film“ nach der Katastrophe. Die Überlebenden eines Spähtrupps<br />

kehren in den Schützengraben zurück, aber ihre K<strong>am</strong>eraden reagieren nicht auf sie, nehmen sie nicht<br />

wahr, wie ein Film durch den man sich bewegt ohne mit den Gestalten kommunizieren zu können. Es<br />

sind Tote, denn das Regiment ist ausgelöscht. Der Spähtrupp, oder das, was von ihm noch übrig ist,<br />

muss sich ein anderes Lager, eine andere Kompanie suchen.<br />

183 Balázs, Lélek a haboruban, S. 78.<br />

184 Zur Beziehung zwischen Eisenbahn und Kino vgl. beispielsweise Joachim Paech, „Unbewegt bewegt. Das<br />

Kino, die Eisenbahn und die Geschichte des filmischen Sehens“, in: Ulfilas Meyer (Hg.), Kino-Express. Die<br />

Eisenbahn in der Welt des filmischen Sehens. München: Bucher, 1985, S. 40-49.<br />

185 Balázs, Lélek a haboruban, S. 78.<br />

186 Ebd., S. 38.<br />

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