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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Sünde) bedürfe. 175 Lukács’ Äußerungen dazu bleiben zugleich rätselhaft: „Beziehung dieser<br />

ästhetischen (Luciferischen) Kategorien zur ersten Ethik: [...] Wo ist die Grenze zwischen 1-te Ethik<br />

[der Ethik der Pflichten gegenüber den Gebilden] und der einer Luziferschen Ethik: Wo fängt die 1-te<br />

Ethik an metaphysisch zu sein (ästhetisch: wann wird der Roman zum Epos?)“ 176 Ernst Bloch erinnert<br />

sich fünfzig Jahre später daran, dass die Definition des Ursprungs der Kunst als „luziferisch“ in diesen<br />

Jahren Lukács’ „Lieblingskategorie“ 177 gewesen sei, ihrem gemeins<strong>am</strong>en Studium Marcions<br />

entst<strong>am</strong>mend, der - wie Egon Friedell ebenfalls mit dem Blick auf Dostojewski bemerkt - gelehrt<br />

hatte: „[D]er Mensch müsse von allem Natürlichen erlöst werden, von allem, was er ist und was ihn<br />

umgibt: von der Welt, von dem Gesetz, von dem eigenen Ich und auch von der Gerechtigkeit.“ 178<br />

Marianne Weber beschreibt in ihren Erinnerungen ebenfalls Lukács’ Insistieren auf den luziferischen<br />

Charakter der Kunst und kennzeichnet die Paradoxie dieses Denkens: „Lukács galt die Herrlichkeit<br />

innerweltlicher Kultur, vor allem der ästhetischen als das Widergöttliche, die ‘luciferische’<br />

Konkurrenz gegen Gottes Wirks<strong>am</strong>keit. Aber volle Entfaltung dieses Reichs soll sein, denn die Wahl<br />

des Einzelnen zwischen ihm und dem Transzendenten darf nicht erleichtert werden. Der Endk<strong>am</strong>pf<br />

zwischen Gott und Luzifer steht noch bevor und hängt ab von der Entscheidung der Menschheit.<br />

Letztes Ziel ist Erlösung von der Welt. Nicht wie für George und seinen Kreis: Erfüllung in ihr.“ 179<br />

Balázs vermochte Lukács auf diesem Weg nicht mehr zu folgen. 1916 notierte er noch einmal<br />

Lukács’ Äußerung in sein Tagebuch und meldete Widerspruch an: „Gyuri sagte, die Kunst sei<br />

luziferisch. Mache eine bessere Welt als Gott, Vollkommenheit auf Kredit, Harmonie vor der<br />

Erlösung. Bis jetzt hat mich dieser Gedanke nur beunruhigt, empfand ihn aber als zwingend. Gestern<br />

bin ich darauf gekommen, dass es nicht so ist. Die Formen der Kunst sind vollkommen und in sich<br />

geschlossen, ihre Materie ist aber nicht Bronze oder Marmor, sondern Sehnsucht. [...] Kein Aufruhr<br />

174<br />

Lukács, „Von der Armut <strong>am</strong> Geiste“, S. 74.<br />

175<br />

Philippe Despoix’ Vermutung, Lukács bezeichne die „zweite Ethik“ selbst als „luziferisch“, also auch den<br />

Umschlag der Güte der Gestalten Dostojewski in erlösende terroristische Gewalt, vermag ich aber nicht zu folgen.<br />

Lukács bleibt der Frage gegenüber <strong>am</strong>bivalent, ob der Luziferismus der Kunst ein notwendiges Moment für den<br />

Übergang von der 1. zur 2. Ethik darstellt, oder, im Gegenteil, nicht diesen Übergang behindere.<br />

Zum Verhältnis zwischen erster und zweiter Ethik bei Lukács siehe auch: Bolz, Auszug aus der entzauberten Welt,<br />

S. 13-20.<br />

Lukács selbst hat seine Reflexionen über den Luziferis mus nur einmal in seinen Schriften explizit, aber eher<br />

unscharf erwähnt. „Wenn also jemandem das Luciferische als der metaphysische ‘Ort’ des Ästhetischen in den<br />

Sinn kommt, so kann und will ich ihm nicht widersprechen.“ (Lukács, Heidelberger Ästhetik (1916-1918), S. 132)<br />

176<br />

Lukács, „Notizen zum geplanten Dostojewski-Buch“, S. 202.<br />

177<br />

Ernst Bloch und Georg Lukács. Dokumente zum 100. Geburtstag. Budapest 1984, S. 302, zitiert nach Despoix,<br />

Ethiken der Entzauberung, S. 182, Anmerkung 99.<br />

178<br />

Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit. München: C.H. Beck, 1976, S. 1343.<br />

179<br />

Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild. Tübingen: Mohr, 1984, S. 474.<br />

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