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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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daß ihre historisch-soziale Basis schließlich bedeutungslos wird“ 166 , so vermag er freilich ebenso<br />

wenig wie Lukács den Widerspruch aufzulösen, dass es gerade jenes überschüssige Moment eines<br />

chiliastischen Heilsplanes war, das die Kritik an der Entfremdung überhaupt zu einer revolutionären<br />

Kraft werden liess.<br />

In der Tat führt Lukács’ Enthistorisierung der Entfremdung notwendigerweise zu einem<br />

messianistischen Begriff von deren Aufhebung, gedacht als ein Akt der Beendigung der Geschichte.<br />

Ein Gedanke, der freilich auch dem frühen Marx nicht fremd gewesen war. Die Interpretation der<br />

Entfremdungsphänomene als historische sieht sich hingegen, anders, als K<strong>am</strong>mler dies noch glaubt,<br />

bald d<strong>am</strong>it konfrontiert, nur noch historische Formen von durchaus überhistorischen Phänomen der<br />

Verdinglichung und Entfremdung als ihren Gegenstand vorzufinden. D<strong>am</strong>it wird schließlich auch sie in<br />

die Nähe jener fatalistischen philosophischen Anthropologie der Entfremdung geraten, wie Arnold<br />

Gehlen sie mit seiner Ontologie des „Mängelwesens“ vorschlägt: eines sich notwendigerweise<br />

technisch verlängernden, sein Unvermögen kompensierenden Menschen, dessen Gebilde sich ihm<br />

notwendigerweise als zweite Natur in den Weg stellen. An der kategorischen Differenz von Natur<br />

und Geschichtlichkeit, von Naturzwang und Gesellschaft festzuhalten, erweist sich hingegen auf der<br />

Basis einer radikalen Entfremdungskritik, ob messianistischer oder fatalistischer Tendenz, als<br />

unmöglich.<br />

Lukács’ kontingent gewordene Welt, die „Epoche der vollendeten Sündhaftigkeit“, lässt nur ein<br />

problematisches Individuum zu, dass zur Wanderung auf der Suche nach sich selbst verd<strong>am</strong>mt ist, „in<br />

Teilidentitäten diffus zerstäubt, in wechselnden Loyalitäten nomadisierend“. 167 So wie die<br />

realhistorische Epik Lukács als Projektionsfläche einer versöhnten Welt dient, so arbeitet er aus dem<br />

Dilemma des Romans die Charakteristika der „bürgerlichen Existenz“ heraus, die ihren Halt verloren<br />

hat und sich im Paroxysmus des sich selbst vernichtenden Subjekts, der Ekstase des Individualismus,<br />

im Handeln wider alle Konventionen der „ersten Ethik“ selbst sprengen soll.<br />

Lukács sucht auch in den Gestalten von Balázs’ Dr<strong>am</strong>en jene Boten einer kommenden Welt, nimmt<br />

sie zugleich als Material für seine Kennzeichnung der geschichtsphilosophischen Bedeutung<br />

Dostojewskis: „[D]ass es für den aus der Existenz innerhalb einer Klasse ausgeschlossenen<br />

Menschen, wenn er wirklich wahrer Mensch ist, auch noch einen anderen Weg gibt: sich aus jeder<br />

166 Jörg K<strong>am</strong>mler, „Ästhetizistische Lebensphilosophie“, in: text + kritik. Zeitschrift für Literatur. Georg Lukács.<br />

H. 39/40 (1973), München: edition text + kritik. Richard Boorberg Verlag, 1973, S. 18.<br />

167 Mattenklott, Blindgänger, S. 165.<br />

199

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