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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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statt wie geplant nur dessen Ausgangspunkt, die Welt des bürgerlich entfremdeten Individuums und<br />

seine ästhetische Form, der Roman: das Geworfensein des Menschen in die Kontingenz der Zeit, das<br />

Auseinanderfallen von Idee und Wirklichkeit. Der Roman repräsentiert ein Werdendes und kein<br />

Sein, einen Prozess eher als eine fertige Welt, ist biographische Form, ist „Diskrepanz zwischen Idee<br />

und Wirklichkeit [...]: der Ablauf der Zeit als Dauer“. 146 Im Roman konstituiert die Zeit selbst die<br />

Form, stellt eine paradoxe, ironisch brüchige Homogenität des Heterogenen her, eine „freilich<br />

irrationale und unaussprechliche“ 147 Beziehung. Lukács interpretiert die Bergson’sche „Dauer“ d<strong>am</strong>it<br />

selbst historisch, von der „eigentlichen“ Existenz des Menschen abgelöst. „Die Zeit kann erst dann<br />

konstitutiv werden, wenn die Verbundenheit mit der transzendentalen Heimat aufgehört hat.“ 148<br />

Urbild einer homogenen Welt, Kontrastfolie zu jener „Epoche der vollendeten Sündhaftigkeit“, sind<br />

ihm die klassischen Epen, die die Entfremdung von Individuum und Welt noch nicht gekannt hätten,<br />

denen der Begriff der Totalität noch kein transzendentaler gewesen sei. „Dann gibt es noch keine<br />

Innerlichkeit, denn es gibt noch kein Außen, kein Anderes für die Seele. Indem diese auf Abenteuer<br />

ausgeht und sie besteht, ist ihr die wirkliche Qual des Suchens und die wirkliche Gefahr des Findens<br />

unbekannt: sich selbst setzt diese Seele nie aufs Spiel; sie weiß noch nicht, daß sie sich verlieren kann<br />

[...], dann ist jede Tat nur ein gutsitzendes Gewand der Seele.“ 149 Die Welt des Epos sei homogen<br />

und d<strong>am</strong>it notwendigerweise unendlich, nicht als Metapher, sondern als „konkrete historische<br />

Wirklichkeit“ 150 , die ins Unendliche sich fortsetzt. „Und auch die Trennung von Mensch und Welt,<br />

von Ich und Du, vermag ihre Einstoffigkeit nicht zu stören, wie jedes andere Glied dieser Rhythmik,<br />

steht die Seele inmitten der Welt; die Grenze, die ihre Umrisse erschafft, ist im Wesen von den<br />

Konturen der Dinge nicht unterschieden: sie zieht scharfe und sichere Linien, trennt aber doch nur<br />

relativ, trennt nur in bezug auf und für ein in sich homogenes System des adäquaten<br />

Gleichgewichts.“ 151<br />

Lukács präsentiert die vergangene Epik der Griechen selbst als utopische Welt der Seinstotalität.<br />

Das Ganze sei hier nicht äußerlich, durch die Komposition eingeführt, kein transzendentales<br />

145 Bolz, Auszug aus der entzauberten Welt, S. 32f.<br />

146 Lukács, Theorie des Romans, S. 123. Nur dem Roman, als „Form der transzendentalen Heimatlosigkeit der<br />

Idee“, würde die „wirkliche Zeit, Bergsons durée“ (Ebd., S. 124) konstitutiv sein.<br />

147 Ebd., S. 128.<br />

148 Ebd., S. 125. Es ist dies jene Verbundenheit, in deren Sphäre die Ekstase den Mystiker erhebt, „wo jede Dauer<br />

und jeder Ablauf aufgehört hat, aus der er nur wegen seiner kreatürlich-organischen Beschränktheit in die<br />

Zeitwelt herabsinken muß [...]“. (Ebd.)<br />

149 Lukács, Theorie des Romans, S. 23.<br />

150 Georg Lukács an Leo Popper, 27.10.1909, in: Lukács, Briefwechsel, S. 90.<br />

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