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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Form der „Ritterlichkeit“ 128 , die „klare und kalte und beiden Kämpfern im wesentlichen haßlose<br />

Gegnerschaft, die die Vernichtung des Feindes anstrebt, ihm aber im Innersten nicht feindlich-<br />

affekthaft gegenübersteht“. 129 Der Held dieses Kriegs sei derjenige, der sich sich der Situation <strong>am</strong><br />

angemessensten unterwirft, um sie zu überleben, nicht der dekorative Heroe, sondern der unauffällige<br />

Experte des Tötens. Lukács ist d<strong>am</strong>it nicht weit entfernt von Ernst Jüngers Interpretation dieses<br />

kalten Expertentums der lustvollen Ent-Emotionalisierung. Die Technik des Körpers als<br />

Tötungsmaschine wird von Jünger zum Typus des „neuen Menschen“ stilisiert: „Jongleure des Todes,<br />

Meister des Sprengstoffes und der Fl<strong>am</strong>me, prächtige Raubtiere, federten sie durch die Gräben. Im<br />

Augenblick der Begegnung waren sie der Inbegriff des K<strong>am</strong>pfhaftesten, was die Welt tragen konnte,<br />

schärfste Vers<strong>am</strong>mlung des Körpers, der Intelligenz, des Willens und der Sinne.“ 130 Lukács bezieht<br />

sich, auch wenn er später nur noch erinnert, ihm „privat sehr scharf meine Meinung gesagt“ 131 zu<br />

haben, durchaus positiv auf Balázs’ Kriegstagebuch, wenn er schreibt, es handele sich „hier um einen<br />

spontanen Mut, um eine Entschlossenheit, mit der man im voraus, wie mit etwas bekanntem, rechnen<br />

kann und soll, um den Mut, wie er im Kriegstagebuch eines ungarischen Dichters zu lesen ist - der<br />

Menschen der Titanic und der Scottschen Expedition. 132 Dieses Heldentum ist etwas<br />

Internationales.“ 133<br />

Lukács’ nüchterne Feststellung über die Versachlichung des Krieges und der Vernichtung in den<br />

Materialschlachten und Stellungskämpfen richtet nicht mit den Maßstäben einer konventionellen Ethik<br />

über das Ausmaß der Gewalt und des Leidens. Im Vergleich aber mit der individuell verantworteten<br />

Schuld des Terroristen, der sich selbst dem Geschichtsprozess opfert, in dem er ein Verbrechen<br />

begeht, muss Lukács die blinde Gefolgschaft des modernen Soldatentypus ablehnen, für den<br />

128 Ebd., S. 68.<br />

129 Ebd. Béla Balázs schreibt ganz ähnlich: „Die große Tragödie jedes wahren Krieges ist, daß nicht die Gegner<br />

sich gegenseitig hassen.“ (Balázs, Lélek a haboruban, S. 49)<br />

130 Ernst Jünger, Der K<strong>am</strong>pf als inneres Erlebnis. Berlin: Mittler, 1922, S. 33.<br />

131 Lukács, Gelebtes Denken, S. 69.<br />

132 Robert Falcon Scott hatte <strong>am</strong> 18.1.1912 den Südpol erreicht, vier Wochen nach Roald Amundsen, und war auf<br />

dem Rückweg verschollen. 1925 schrieb Béla Balázs über die Filme, die Scott und auch Ernest Henry Shakleton<br />

auf ihren Südpolexpeditionen drehten, sie verkörperten „die neue, objektivierte Form des menschlichen<br />

Bewußtseins [...] eine neue Form der Selbstbesinnung“. Die Heldentat der englischen Südpolfahrer finde ihren<br />

Höhepunkt nicht in den Bildern des „Nahk<strong>am</strong>pfes, des Handgemenges mit der tödlichen Natur, nicht [in der]<br />

Darstellung der Kühnheit, Entschlossenheit und der heroischen Solidarität“, sondern darin, „daß diese Männer<br />

dem Tode durch das Objektiv des Kurbelkastens ins Auge schauten“. Und Balázs rechtfertigt die „Zwecklosigkeit<br />

solcher Energieoffenbarungen“, wie sie in den Expeditionen realisiert würden und die „Traumgrenzen des<br />

Unmöglichen [ausdehnen]. Erst muß das Feuer brennen, d<strong>am</strong>it wir überhaupt sehen, was da ist, um beleuchtet zu<br />

werden. Das ist der Sinn jedes menschlichen Feuers, auch wenn sein unmittelbarer Zweck uns nicht gleich klar<br />

wird.“ (Béla Balázs, „Kurbelndes Bewußtsein“, in: ders., Schriften zum Film. Band I. Hg. von Helmut H.<br />

Diederichs, Wolfgang Gersch und Magda Nagy. München: Hanser [Berlin: Henschelverlag für Kunst und<br />

Gesellschaft; Budapest: Akadémiai Kiadó], 1982, S. 336; 338 [zuerst in: Der Tag, 22.3.1925])<br />

133 Lukács, „Die deutschen Intellektuellen und der Krieg“, S. 69.<br />

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