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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Jaspers und Emil Lederer gehörte er in Heidelberg zu einer kleinen Gruppe von Intellektuellen, die<br />

der allgemeinen Stimmung, die innerhalb weniger Tage nicht nur die bürgerliche Intelligenz, sondern<br />

auch den größten Teil der deutschen Sozialdemokratie erfasst hatte, kritisch gegenüberstanden. 116<br />

Nicht nur mit Georg Simmel, zu dem Lukács schon vorher auf Distanz gegangen war, auch mit Max<br />

und Marianne Weber k<strong>am</strong> es wegen dieser Auseinandersetzung fast zum Zerwürfnis, etwas, das<br />

Lukács auch wegen seiner nach wie vor bestehenden Habilitationspläne tunlichst zu vermeiden<br />

suchte. Im August 1914 schrieb Georg Simmel an Marianne Weber, „wenn Lukács nicht in der Lage<br />

sei, die Großartigkeit dieses Krieges zu begreifen, dann sei das eine hoffnungslose Sache, man könne<br />

diesen Krieg nur intuitiv begreifen“. 117<br />

In ihrer Ablehnung des „Westens“, der bürgerlichen Händlernatur, ihrer Todfeindschaft gegen<br />

Bürgerlichkeit, Mechanisierung und „Amerikanisierung“ 118 sind sich Bloch und Lukács<br />

paradoxerweise mit zentralen Parolen der sich nun deutschnational gebärdenden Intellektuellen wie<br />

Georg Simmel oder Werner Sombart 119 vollkommen einig und von einer pazifistischen Haltung im<br />

übrigen weit entfernt. Lukács selbst erinnert sich bis zu seinem Tod an seine Position zu Beginn des<br />

Krieges mehrfach und stereotyp in der gleichen Formulierung, die er schon 1962 im Vorwort zur<br />

Neuausgabe der Theorie des Romans gewählt hatte: „Als ich in dieser Zeit meine gefühlsmäßige<br />

Stellungnahme mir selbst bewußt zu machen versuchte, k<strong>am</strong> ich zu etwa folgendem Ergebnis: die<br />

Mittelmächte werden voraussichtlich Rußland schlagen; das kann zum Sturz des Zarismus führen:<br />

116 „Als der erste Weltkrieg ausbrach, schloß sich Bloch in Heidelberg näher mit Jaspers, Radbruch, Lukács ,<br />

Lederer zus<strong>am</strong>men, die sich als vereinzelte kleine Gruppe von der d<strong>am</strong>als allgemeinen Kriegsbegeisterung nicht<br />

erfassen ließen. Man erwartete, daß auch Simmel sich zurückhalten werde - ‘Zwei Mal hat ein nationales Unglück<br />

die Deutschen betroffen: der 30jährige Krieg und die Regierung Wilhelms II.’, pflegte er zu sagen, und war er nicht<br />

der Philosoph des tertium datur? Stattdessen war die immer verdrängte ‘absolute Situation’, die Entscheidung, mit<br />

einemmal bei ihm da. Er gebärdete sich wie ein teutonischer Zionist. Das führte zum Bruch der Freundschaft. Als<br />

Bloch Simmel vor einem der Vorträge zum Zeitgeschehen, die Simmel d<strong>am</strong>als zu halten pflegte, in Heidelberg traf,<br />

grüßte er ihn nicht. Da aber Simmel ihn grüßte, beschloß Bloch, sich den Vortrag noch anzuhören. Der Eindruck<br />

war so, daß er ihm einen letzten Brief schrieb, in dem es unter anderem hieß: ‘Ein ganzes Leben lang wichen Sie<br />

der Wahrheit aus, als ob Sie sie sähen. Und jetzt finden Sie das Absolute im Schützengraben. Nein, das nicht!’.“<br />

(Michael Landmann, „Ernst Bloch über Simmel“, in: Hannes Böhringer, Karlfried Gründer (Hg.), Ästhetik und<br />

Soziologie um die Jahrhundertwende. Georg Simmel. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Klostermann, 1976, S. 271)<br />

117 Lukács, Gelebtes Denken, S. 70f.<br />

118 In Balázs Tagebuch heißt es <strong>am</strong> 24.3.1916, nicht frei von Widersprüchen: „Mein Volk sind die Menschen<br />

Gottes und Kulturchauvinist bin ich auch nur als Europäer. Gegen die Amerikaner und die Gelben.“ (Balázs,<br />

Napló 1914-1922, S. 149)<br />

119 Vgl. dessen nationalistisch-antikapitalistische Kriegsschrift Händler und Helden. Patriotische Besinnungen.<br />

München: Duncker & Humblot, 1915. Werner Sombart hatte sich seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts<br />

schrittweise von Engels und der Sozialdemokratie weg und mit wachsendem antisemitischem Furor zur<br />

„Konservativen Revolution“ hinbewegt. Seine letzte Schrift vor seinem Tod, Deutscher Sozialismus (1934),<br />

propagierte einen nationalistisch-ständestaatlichen „Sozialismus“, die Erneuerung des deutschen Wesens durch<br />

den nationalsozialistischen Führerstaat.<br />

191

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