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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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vorgehalten, von einem Exzess des Individualismus überwältigt zu werden, der es ihm unmöglich<br />

machte zu handeln, ohne sich selbst dabei zu beobachten. So würde einem solchen Mann jede<br />

„große Geste zur Pose werden“. 102 Balázs notiert ins Tagebuch: „Für die Nationalisten bin ich ein<br />

‘österreich-ungarischer’ Patron, für die Radikalen ein militaristisches Schwein.“ 103<br />

Im Dezember 1915 hatte Balázs noch darüber nachgedacht, ob der Kreis der Konstruktivisten um<br />

Lajos Kassák 104 , der die Zeitschrift A Tett herausgab und sich offensiv vom Nyugat absetzte, nicht<br />

irgendwann „einmal zu meinem Boden, zu meinem Lager werden“ könnte. Auch wenn Kassák ein<br />

„armer Teufel“ sei, „jung, von mittelmäßiger Begabung“. Aber es sei ihm gelungen ein Milieu, ein<br />

Lager um sich zu scharen. Und es hätte sich herausgestellt, „dass diese Grünen, über die ich so viel<br />

gelacht habe, gar nicht so lächerlich sind“. 105 Schon im Januar 1916 haben sich diese zarten<br />

Hoffnungen zerstreut. „Der Leitartikel in der zweiten Nummer der ‘Tett’ ist an mich gerichtet. Sie<br />

haben mich aufgeklärt, dass ich nichts mit ihnen zu tun hätte. Futuristen, Menschen der ‘Tat’,<br />

Weltverbesserer, die die Berechtigung des Lebens der Seelen verneinen.“ 106 Die Parolen der<br />

Konstruktivisten waren erfüllt von einem wolkigen Pathos, nicht unähnlich den Futuristen in Italien,<br />

gingen aber zu deren Verherrlichung des Krieges auf scharfe Distanz. Enger dagegen waren schon<br />

vor dem Krieg die Beziehungen zu den deutschen Expressionisten, insbesondere zu Herwart Walden<br />

und dem Kreis um die Zeitschrift Der Sturm. 107<br />

102<br />

So Ferenc Koszorú in: A Tett, Jg. 2., H. 14 (1916), S. 246., zit. nach Gluck, Georg Lukács and his Generation, S.<br />

214.<br />

103<br />

Balázs, Napló 1914-1922, S. 164. Eintrag vom 6.5.1916.<br />

104<br />

Lajos Kassák (1887-1967), Künstler und Schriftsteller, seit 1909 Kontakte zur europäischen Avantgarde in Paris,<br />

Rom und Berlin, 1915-1916 Herausgeber der Zeitschrift A Tett, 1916-1926 Mitherausgeber der Zeitschrift MA<br />

(Heute), 1919 Emigration nach Wien, Zus<strong>am</strong>menarbeit u.a. mit Herwarth Walden, Laszlo Moholy-Nagy, Kurt<br />

Schwitters und Jan Tschichold, 1926 Rückkehr nach Budapest, 1928-1938 Herausgeber der Zeitschrift Munka<br />

(Arbeit).<br />

105<br />

Balázs, Napló 1914-1922, S. 114. Eintrag vom 29.12.1915.<br />

106<br />

Ebd., S. 116. Eintrag vom 12.1.1916.<br />

107<br />

Kassák veröffentlichte 1916 in der 10. Ausgabe von A Tett sein Progr<strong>am</strong>m, mit dem er sich unter anderem dazu<br />

bekannte, sich „keinem der ‘Ismen’ verpflichten“ zu können. „Vielmehr mu ß sie mit erhobener Stirn auch gegen<br />

den Futurismus anrennen ... in welchem eitle Primadonnen die Apokalypse des Krieges singen [...]“ „Die neue<br />

Literatur“, so verkündete Kassák, „ist Toröffnerin der frei werdenen Willenskraft“, „kein rassischer oder nationaler<br />

Selbstzweck“, sondern „aus der Seele der Epoche geborene Feuersäule“. „Ihr glorifiziertes Ideal ist der in das<br />

Unendliche hineinreichende Mensch!“ Und Kassáks neue Literatur erhebt offensiver je zuvor „Anspruch auf<br />

leitende Rollen im Staatsapparat, bei der Revision der bestehenden Gesetze und bei der Schaffung von neuen<br />

Gesetzen.“ (A Tett, Nr. 10 (1916), S. 153ff., zitiert nach Horváth, Die Jahrhundertwende in Ungarn, S. 492)<br />

1916 noch wurde die Zeitschrift A Tett aufgrund ihrer offen kriegsfeindlichen Haltung verboten. Noch im selben<br />

Jahr gründete Lajos Kassák die Zeitschrift MA (Heute), die bis 1919 in Budapest und von 1920-1926 in Wien<br />

erscheinen sollte. Zur Geschichte der ungarischen Avantgarde um Kassák siehe u.a. die Aufsätze von Krisztina<br />

Passuth, Eva Bajkay-Rosch, Ildiko Jajnal-Neukäter, Amalie Maria Lindner und Julia Szabó sowie die beigefügten<br />

Dokumente in Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in der WeimarerRepublik. Hg. von Hubertus Gaßner.<br />

Marburg: Jonas, 1986.<br />

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