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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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große Stunde eines tragischen Helden, der die Geschichte verstanden hat, wenn diese Geschichte ihn<br />

ermordet.“ 97 Doch d<strong>am</strong>it steuert er erneut auf das schon in der Todesästhetik beschriebene Paradox<br />

zu. Die Erfahrung, das Erlebnis des Todes kann nur darin bestehen, ihm zu entgehen, ihn zu<br />

durchleben und d<strong>am</strong>it zu entmachten. Balázs’ Aufbruch in den Krieg, von dem die „Prinzessin“ ihn<br />

nicht abzuhalten vermag, ist der Aufbruch zu einem Übergang, die Suche nach einer Passhöhe, auf<br />

der er sich neu vermählen will. „Du kannst mich ruhig in den Krieg lassen, als Prinzessin des Lebens.<br />

Ich muss gehen, es ist kein Grund zur Trauer. Du weißt, ich gehe auf Hochzeitsreise.“ 98<br />

Das Ziel dieser Bewegung, des Übergangs in eine neue Existenz, richtet sich kreisförmig zurück, auf<br />

eine imaginäre Heimat, die es wiederzufinden gilt. Zunächst ist es die Gemeinschaft der Männer, die<br />

Balázs auf dem Schlachtfeld sucht. „Die Männer, die hunderte von Jahren voneinander getrennt<br />

waren durch weibliche Arme, haben irgendwie einander gefunden. Es ist eine bewegende, reuevolle,<br />

gegenseitige Wiederentdeckung. Eine Heimkehr unter den Männern.“ 99 Die Rückkehr in die<br />

Urhorde, von der Balázs träumt, die Vermählung mit Seele und Leib von „neunhundertsechzig“<br />

Männern wird aber von einer zweiten „Heimkehr“ legitimiert, der Heimkehr zu einem Volk, zu dem<br />

er nie wirklich gehören durfte.<br />

Balázs drängt es, eine Schuld zu begleichen, doch spätestens hier wird seine Kriegsbegeisterung sich<br />

selbst fragwürdig, will Balázs doch zugleich an dem K<strong>am</strong>pf aller, das heißt <strong>am</strong> Leiden der<br />

Menschheit, und <strong>am</strong> K<strong>am</strong>pf des Volkes, also <strong>am</strong> K<strong>am</strong>pf zwischen den Menschen teilnehmen. Und<br />

dies, um seinen Individualismus, sein Recht auf Distanz zur Gemeinschaft nachträglich zu legitimieren.<br />

So wird der Akt der Verschmelzung zu einem Akt der Selbstbehauptung des Subjekts gegen die an<br />

es gerichteten Ansprüche. Denn Balázs hält fest an seinem „mystischen Anarchismus [...], aber ich<br />

muss mir das Recht dazu durch eine Ablöse erwerben. Erst nachdem ich das Äußerste, was man für<br />

die Gemeinschaft tun kann, getan habe, erst nachdem ich mein Leben angeboten habe in diesem<br />

Krieg, erst dann werde ich das Recht haben, zu sagen: und nun Adieu!“ 100 Er muss sich das Recht zu<br />

seinem „Alleinsein erlösen“ 101 , mit dem Angebot des Opfers erkaufen. Als Balázs’ Kriegstagebuch<br />

erscheint, provoziert gerade dieser, selbst gegenüber dem Kriegserlebnis behauptete Individualismus<br />

heftige Kritik. In der Zeitschrift der konstruktivistischen Avantgarde A Tett (Aktion) wird ihm<br />

97 Ebd., S. 46.<br />

98 Ebd., S. 49.<br />

99 Ebd., S. 53f.<br />

100 Balázs, Napló 1914-1922, S. 11. Eintrag vom 12.8.1914. Diese Passage findet sich, wie viele andere<br />

Tagebucheintragungen, später auch in Lélek a haboruban (S. 47).<br />

101 Ebd., S. 47.<br />

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