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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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einem fernen Tage der Idee Europa ein neues Leben, mächtiger und weiter wohl als alles frühere,<br />

geben und sie an ihre Unsterblichkeit erinnern wird.“ 75 Für Simmel ist diese „Idee Europas“ nach wie<br />

vor der polare Gegensatz zu jeder Idee einer universalen Menschheit - und, wie aus seinen letzten<br />

Briefen deutlich wird, ein freilich schwacher Hoffnungsanker angesichts des kommenden Sieges<br />

Amerikas in diesem Krieg (den er nun als „Selbstmord Europas zugunsten Amerikas“ 76 bezeichnet),<br />

Ausdruck einer „Todfeindschaft gegen alle Bürgerlichkeit, gegen alle Mechanisierung und<br />

Amerikanisierung“ 77 , die er kurz vor seinem Tod noch einmal als die „deutsche Hoffnung“ 78 der<br />

Jugend bezeichnen wird.<br />

Georg Simmel stand freilich nicht allein mit solchen, die offiziellen Legitimierungen des Krieges<br />

sprengenden Visionen. Für den Maler Franz Marc war der Krieg kein K<strong>am</strong>pf der „Zentralmächte<br />

gegen einen äußeren Feind, auch nicht eine Rasse gegen die andre, sondern dieser Großkrieg ist ein<br />

europäischer Bürgerkrieg, ein Krieg gegen den inneren, unsichtbaren Feind des europäischen<br />

Geistes“ 79 , für den es „nur eine Rettung“ gäbe, „das uralte Mittel des Blutopfers. [...] Ein tiefes<br />

völkergemeinschaftliches Blutopfer [...], das alle um eines gemeins<strong>am</strong>en Zieles willen bringen.“ 80<br />

Auch Max Scheler sieht, ähnlich wie Balázs, im Krieg keinen K<strong>am</strong>pf gegeneinander, sondern die<br />

„stärkste Kraft der Menscheneinigung“. 81 Hans von Eckhardt 82 schließlich, dessen Bekanntschaft<br />

Lukács in Heidelberg machte und dem er manche Quelle für seine Beschäftigung mit dem russischen<br />

Terrorismus verdankte, schrieb Lukács <strong>am</strong> 22. Oktober 1914 einen Brief, in dem er dessen<br />

Einwände gegen seine Begeisterung für den Krieg mit folgenden „Argumenten“ zu widerlegen sucht:<br />

„Gern hörte ich von Ihnen, lieber Lukács, ob was ich meine, Ihnen sehr töricht erscheint“ 83 , er müsse<br />

in den Krieg, sehne sich nach der großen Hingabe dieser „Erhebung“, die ihn zur Reife bringe. Dieser<br />

75<br />

Ebd., S. 72.<br />

76<br />

Georg Simmel an Hermann Keyserling, 25.3.1918, in: ders., Das individuelle Gesetz. Philosophische Exkurse.<br />

Hg. von Michael Landmann. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1968, S. 243.<br />

77<br />

Georg Simmel an Hermann Keyserling, 18.5.1918, in: ebd., S. 246.<br />

78<br />

Ebd. Simmel zweifelt zugleich an der „Substanzialität des Wesens“ dieser revolutionären Jugend: „Von allen<br />

habe ich den Eindruck, sie können alle auch anders - es ist schließlich ein Zufall der Situation und nicht von innen<br />

her notwendig, ob sie reaktionär oder revolutionär, freigeistig oder katholisierend, autoritär oder anarchisch sind.<br />

[...] Wenn aber diese Menschen oder ihresgleichen die Führer des künftigen Deutschlands würden, so wäre mir<br />

dies nicht viel anderes als ein Mene Tekel.“ (Georg Simmel an Hermann Keyserling, 5.7.1918, ebd., S. 249)<br />

79<br />

Franz Marc, „Das geheime Europa“, in: ders., Schriften. Hg. von Klaus Lankheit. Köln: DuMont, 1978, S. 165.<br />

80<br />

Ebd., S. 163. Europa kämpfe, um „mit Worringer zu reden, gegen die Hysterie und die alternden verkalkenden<br />

Elemente seines Leibes.“ (Ebd., S. 167)<br />

81<br />

Scheler, „Der Genius des Krieges“, S. 1349.<br />

82<br />

Hans von Eckhardt (1890-1917), in Riga geborener deutscher Gesellschaftsphilosoph, den Lukács in Heidelberg<br />

kennengelernt hatte. Lukács bemühte sich, für eine von Hans von Eckhardt geplante Memoirens<strong>am</strong>mlung aus den<br />

russischen Revolutionsjahren 1904-1907 einen Verleger zu finden.<br />

83<br />

Hans von Eckhardt an Georg Lukács, 22.10.1914, in: Lukács, Briefwechsel, S. 342.<br />

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