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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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des Mehr oder Weniger entscheiden in ihnen, von dieser oder jener Seite her sind sie bedingt. All<br />

solches kommt jetzt nicht mehr in Frage, wir stehen mit dem Kräfteeinsatz, der Gefährdung, der<br />

Opferbereitschaft vor der absoluten Entscheidung, die keine Ausbalancierung von Opfer und<br />

Gewinn, kein Wenn und Aber, keinen Kompromiß, keinen Gesichtspunkt der Quantität mehr kennt.<br />

Mit diesem Ungeheuren, das uns nie ein Krieg mit Frankreich allein, sondern nur ein Krieg, wie wir<br />

ihn jetzt führen, bringen konnte, sind wir einer Idee verhaftet. Denn die Frage: soll Deutschland sein<br />

oder nicht sein - kann nicht mit dem Verstand der Verständigen und seinen immer relativen<br />

Wägungen beantwortet werden, freilich auch nicht mit dem kindlichen Gemüt. Hier entscheidet allein<br />

- auch für den, der das Wort Idee nie gehört oder verstanden hat - jene höchste Instanz unseres<br />

Wesens, die Kant ‘das Vermögen der Ideen’ nennt - das heißt das Vermögen, ein Unbedingtes zu<br />

erfassen. Denn alles Einzelne und bedingte, das uns sonst bestimmte, liegt unter uns: wir stehen - was<br />

das Leben sonst nur wenigen von uns gestattete oder abforderte - auf dem Grund und Boden eines<br />

Absoluten.“ 61 Simmel leidet darunter, über das Opfer nur sprechen zu können. An Edmund Husserl<br />

schreibt er: „[I]ch fühle innerhalb dieser ungeheuren Schicksale meine Existenz als etwas recht<br />

überflüssiges, obgleich ich natürlich von Anfang an gesucht habe, mich hier und da nützlich zu<br />

machen. [...] Doch habe ich das Gefühl, daß, wer weder selbst hinausgeht noch ein Kind<br />

hinausschickt, die Weihe nicht empfangen hat - als wäre er nicht würdig befunden, <strong>am</strong> Opfer<br />

teilzunehmen.“ 62<br />

Für Deutschland sei, so auch Simmel, der Krieg die große Reinigung, „die Scheidung zwischen dem,<br />

was in Deutschland noch lebens- und zeugungsfähig ist, und dem, was an die Vergangenheit<br />

angenagelt und ohne Recht auf die Zukunft ist: Menschen und Institutionen, Weltanschauungen und<br />

Sittlichkeitsbegriffe“. 63 Jene „Absolutheit unserer Lage“ 64 dränge Deutschland in diesem Krieg zu<br />

einem inneren Wandlungsprozess, der den wahren Kriegsschauplatz von den Fronten nach innen<br />

versetze, also dorthin, wo Simmel seinen K<strong>am</strong>pf zu kämpfen vermag. „Deutschland wird nicht sein,<br />

oder es wird ein anderes Deutschland sein.“ 65 Dieser Satz ist so fatalistisch wie euphorisch zu<br />

verstehen, ein Abgesang auf seine eigene, impressionistisch selbstbeschränkte Generation und<br />

Ausblick auf ein neues Zeitalter. Gerade die Unbestimmtheit der Zukunft verbürgt ihm die Radikalität<br />

61 Ebd., S. 20f.<br />

62 Georg Simmel an Edmund Husserl, 15.12.1914, in: Kurt Gassen, Michel Landmann, Buch des Dankes an Georg<br />

Simmel, Berlin: Duncker & Humblot, 1958, S. 89,<br />

63 Simmel, „Deutschlands innere Wandlung“, S. 18.<br />

64 Ebd., S. 21.<br />

65 Ebd., S. 25.<br />

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