12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Doch welcher Art sind diese „Pflichten? Wie wenig die schließlich offiziell verbreiteten Kriegsziele<br />

mit der Begeisterung der Intellektuellen für den Krieg übereinzustimmen brauchten, ist an den<br />

zeitgenössischen Äußerungen überdeutlich abzulesen. Besonders schrille Töne der Verherrlichung<br />

des Krieges fand 1914 und auch in den folgenden Jahren ausgerechnet Georg Simmel - und im<br />

„vielstimmigen Chor der Kriegseuphorie läßt sich Simmels Tonlage genau unterscheiden“. 57<br />

Georg Simmel hat gerade erst, nach langen vergeblichen Kämpfen um einen Lehrstuhl in Berlin oder<br />

wenigstens in Heidelberg, eine Professur in Strassburg, also <strong>am</strong> Rand der akademischen Welt<br />

Deutschlands erhalten. Als der Krieg beginnt, versucht er, sich nun wenigstens rhetorisch ins Zentrum<br />

des öffentlichen Lebens zurückzuversetzen, das Wesen des Krieges und das Wesen Deutschlands,<br />

das sich darin offenbare, zu bestimmen. Simmel erkennt im Krieg, als käme eine Eingebung über ihn,<br />

die Auflösung aller Widersprüche, deren Entfaltung seine Lebensphilosophie bis dahin gegolten hat.<br />

Den Krieg als große Synthese von Individuum und Gesellschaft, Teil und Ganzem, Bürger und Staat,<br />

Leben und Kultur empfindet Simmel als „absolute Situation“, die alle Relativität, alle Verdinglichung,<br />

alle Entfremdung aufhebe.<br />

Man mag diese dr<strong>am</strong>atische, wenn auch nicht unvorbereitete Wendung seiner Philosophie zur alles<br />

beherrschenden Figur des „Opfers“ nun als Umschlag des „lebensphilospischen Relativismus in<br />

begriffslose Metaphysik“ 58 oder als „Übergang der Wertphilosophie zum Existentialismus“ 59 werten -<br />

Simmels Philosophieren endet in der Mystik des „sinnlosen Aktes“. Simmel besteht geradezu darauf,<br />

dass dieser Krieg keine rationalen Kriegsziele hat, dass er um des Krieges selbst willen geführt wird,<br />

„daß dieser Krieg irgendwie einen andern Sinn hat als Kriege sonst haben, daß er eine, ich möchte<br />

sagen mysteriöse Innenseite besitzt, daß seine äußeren Ereignisse in einer schwer aussagbaren, aber<br />

darum nicht weniger sicheren Tiefe von Seele, Hoffnung, Schicksal wurzeln.“ 60<br />

Der Krieg als absolute Situation, in der aller Relativismus sich zugleich als solcher bestätigt und<br />

aufhebt, kennt keine Rationalität, keine Ökonomie, kein Verhältnis von Zweck und Mittel mehr.<br />

Simmels Beschreibung dieses „Absoluten“ soll hier ausführlich zitiert werden: „Ich wage die<br />

Behauptung, daß die meisten von uns erst jetzt das erlebt haben, was man eine absolute Situation<br />

nennen kann. Alle Umstände, in denen wir uns sonst bewegten, haben etwas Relatives, Abwägung<br />

56<br />

Balázs, Lélek a haboruban, S. 41.<br />

57<br />

Reiter, Opferordnung. Vom Unbehagen in der modernen Kultur, S. 169.<br />

58<br />

Wolfer-Melior, Motive konservativer Kritik in der „Philosophie des Geldes“ von Georg Simmel, S. II.<br />

59<br />

Reiter, Opferordnung, S. 176.<br />

60<br />

Georg Simmel, „Deutschlands innere Wandlung. Rede, gehalten in Straßburg, November 1914“, in: ders., Der<br />

Krieg und die geistigen Entscheidungen. München/Leipzig: Duncker & Humblot, 1917, S. 28.<br />

181

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!