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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Es fällt nicht schwer, in Freuds Schrift und in seinem offenkundigen Widerwillen, sich mit dem<br />

auseinanderzusetzen, was er als „ozeanisches Gefühl“ mit viel Distanz zitiert, dann aber aber doch als<br />

„Todestrieb“ energisch in sein Modell der Triebökonomie aufnimmt, einen Versuch zu erkennen, die<br />

Fäden wieder aufzunehmen und anders zu verknüpfen, die Freud während des Krieges in seinem<br />

Aufsatz „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ ausgelegt hatte. 1915 konstatiert Freud zunächst den<br />

entgrenzten Charakter des Weltkriegs, der alle zivilisatorischen Schranken niedergerissen habe, und<br />

stellt an diese Zivilisation die Frage, inwieweit ihr gestörtes Verhältnis zum Tode zu diesem Exzess<br />

der Gewalt beigetragen habe: „Wir haben die unverkennbare Tendenz gezeigt, den Tod beiseite zu<br />

schieben, ihn aus dem Leben zu eliminieren.“ 53 Freud leitet daraus 1915 noch keineswegs die<br />

Anerkennung eines eigenständigen, dem erotischen Trieb gleichrangigen Todestrieb ab, sondern<br />

lediglich die Gefahr des Überhandnehmens von „Todeswünschen“, das heißt genauer:<br />

„Tötungswünschen“. Und er fordert, den alten Spruch „Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste<br />

zum Kriege“, zu modifizieren: „Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.“ 54<br />

Balázs sucht ganz offen jenes „ozeanische Gefühl“ und führt diese Sehnsucht in einen ethischen und<br />

metaphysischen Dialog. In seinem Kriegstagebuch ist es Anna Lesznai, die „Prinzessin“, mit der er<br />

die inneren Widersprüche seiner Kriegsbegeisterung austrägt. Eingeschoben in seine Schilderungen<br />

des Krieges sind zwei Dialoge mit der Prinzessin, in denen alle moralischen Bedenken gegen die<br />

mörderische Entfesselung der Gewalt artikuliert, aber von Balázs schließlich doch beiseite<br />

geschoben werden: „In einem Jahr werden alle normalen Männer Mörder sein“, sagt Alice, die<br />

„Prinzessin“. „Und wir müssen die dann noch lieben. Es gibt keinen heiligen Krieg, der nicht<br />

verbrecherisch wäre. Weil die Ziele die Mittel nicht heiligen.“ 55 Balázs argumentiert mit der Fatalität<br />

des Faktischen. „Wie gesehen, der Krieg ereignet sich. Er ist da und außer der Aufrechterhaltung<br />

unserer Skepsis gibt es noch ein paar andere Pflichten.“ 56<br />

53 Sigmund Freud, „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ [1915], in: ders., Studienausgabe Bd. IX. Fragen der<br />

Gesellschaft. Ursprünge der Religion. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: S. Fischer, 1974, S. 49.<br />

54 Ebd., S. 60.<br />

55 Balázs, Lélek a haboruban, S. 41. Darüber, ob die Ziele die Mittel heiligen, wird Anna Lesznai sich auch<br />

während der Revolution mit ihren Freunden nicht einig sein. In ihrer Autobiographie dreht sie den Dialog<br />

scheinbar um, läßt Liso scherzhaft auf diesen Satz anspielen und bekommt von Elek die Antwort: „Mit solchen<br />

Irrlehren wird unsere kommunistische Idee verdorben.“ Deshalb müssten die Besten, Laszlo [d.i. Lukács] und<br />

György [d.i. Balázs], mitgehen. „Können Sie sich vorstellen, daß György je wie ein Jesuit handeln könnte?“, frag<br />

Elek. Und Liso antwortet, als betone sie den einen N<strong>am</strong>en, weil sie bei dem anderen Zweifel hat: „György nicht.“<br />

(Siehe Lesznai, Spätherbst in Eden, S. 616) Thomas Manns Naphta, der „jüdische Jesuit“ im Zauberberg, war<br />

nach dem Vorbild Lukács’ modelliert.<br />

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