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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Sich in eine unerträgliche Situation zu ergeben, über die sich Lukács nur schreibend zu erheben<br />

vermag, sich ihr zugleich als Opfer darbietend, auch dieser unfreiwillig-freiwillige Lebensentwurf lässt<br />

sich durchaus als progr<strong>am</strong>matisch beschreiben. Lukács’ in den Jahren vor dem Kriege vollzogener<br />

Abschied vom „Leben“ und die sich in seinen Schriften abzeichende Ethik der freiwillig<br />

übernommenen Schuld fordert ihm die Nähe zu einer ihm selbst nicht erreichbaren<br />

„Seelenwirklichkeit“ ab, die er in Jelenas kompromissloser Lebensführung zu erblicken vermeinte.<br />

D<strong>am</strong>it ist zugleich die Spannung ausgemessen, der Rahmen beschrieben, innerhalb dessen sich Balázs<br />

und Lukács voneinander distanzieren. Auf der einen Seite die mediale Vermittlung eines<br />

Massenerlebnisses, die auf die kontrollierte Erfüllung von Verschmelzungsphantasien im Hier und<br />

Jetzt zielt und auf die Beherrschung von Instrumenten und Beziehungen setzt. Auf der anderen Seite<br />

eine Ethik des Opfers und des Selbstopfers, das den aus dem Leben und seinen Konventionen<br />

Getretenen mit dem Geschichtsprozeß selbst und d<strong>am</strong>it mit der Gemeinschaft aller, „der Berührung<br />

von allem mit allem“ in Beziehung setzen soll, eine Ethik, in der Sein und Sollen eins werden. Lukács<br />

selbst hat später, nach seiner Konversion zum Kommunismus, die „Hölle von Heidelberg“ erfolgreich<br />

verdrängt. 34<br />

Und während Lukács ab 1914 beginnt, sich mit der Ethik des Terrors zu beschäftigen, sucht Balázs<br />

zunächst das „Männerabenteuer des Krieges“. 35<br />

Unter dem Eindruck des Krieges erweist sich nun in aller Schärfe, dass Balázs’ Gemeinschaft der<br />

Leidenden, die er in der Dostojewski entlehnten Parole des „Geh hin und leide auch Du“ 36<br />

propagiert, mit Lukács’ geschichtsphilosophischer Rechtfertigung des Terrors - als Selbstopferung im<br />

Dienste eines höheren Prinzips - nicht zur Deckung zu bringen ist. Sucht Balázs im Kollektiv die<br />

Rettung des narzisstischen Individuums, so steht für Lukács die endgültige Vereins<strong>am</strong>ung des<br />

an diesem Tisch eine Bratwurst essen?’ sagte er mit leicht ironischem Lächeln.“ (Else Ernst, „Aus den<br />

Erinnerungen (Heidelberg, Herbst 1917)“, in: Paul Ernst und Georg Lukács. Dokumente einer Freundschaft. Hg.<br />

von Karl August Kutzbach. Sonderband von Der Wille zur Form. Düseldorf 1973-74, S. 122, zitiert nach Bendl,<br />

„Zwischen Heirat und Habilitation in Heidelberg“, S. 24)<br />

34<br />

In seiner „Autobiographie im Dialog“ heißt es lapidar, sie hätten während des Krieges getrennt gelebt, Jelena<br />

nur anfangs in Heidelberg und dann in Bayern. Siehe Lukács, Gelebtes Denken, S. 74.<br />

35<br />

Béla Balázs, Lélek a haboruban: Balázs Béla honvédtizedes naplojá [Seele im Krieg. Tagebuch des Korporal<br />

Béla Balázs]. Gyoma: Izidor Kner, 1916, S. 45.<br />

36<br />

Unter diesem Titel erschien sein Kriegstagebuch 1915 zunächst im Nyugat in Fortsetzungen. Als Nyugat die<br />

vierte Folge zugunsten eines anderen Kriegstagebuches aussetzt, kommt es zum offenen Bruch zwischen Balázs<br />

und der Zeitschrift, die Balázs bei allen Differenzen bis dahin breitesten Raum gegeben hatte. „Jetzt habe ich die<br />

Gelegenheit benutzt und bin höflich und ohne Krach gegangen“, schreibt er <strong>am</strong> 28.2.1915 an Lukács. Und setzt<br />

hinzu: „Ich fühle eigenartige prophetische Pflichten. Neue Ideen habe ich nicht.“ (in: Lukács, Briefwechsel, S. 343)<br />

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