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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Selbstverständlichkeit, als die einzig wahre Wirklichkeit da sein wird, sich eine neue und abgerundete<br />

Totalität aller in ihr möglichen Substanzen und Beziehungen aufbauen kann [...].“ 29 Auch diese Arbeit<br />

blieb Fragment. Lukács veröffentlichte lediglich die Einleitung, als Theorie des Romans. Die<br />

Realisierung von Lukács’ Ethik der Unbedingtheit, der Tat, die alle Konventionen, alle Normen der<br />

Gesellschaft niederreißt und „nackte konkrete Seelen“ 30 miteinander konfrontiert, erwies sich jedoch<br />

schon bald als Hölle.<br />

Im Sommer 1916, Lukács, gerade vom Militärdienst in Budapest befreit, kehrt nach Heidelberg<br />

zurück, bringt Jelena Grabenko ihren Geliebten, den nervenkranken Pianisten Bruno Steinbach, in<br />

die Ehe ein. Balázs notiert ins Tagebuch: „Graus<strong>am</strong>e Geschichten mit Ljena und ihrem Liebhaber<br />

n<strong>am</strong>ens Bruno, der verrücktgeworden ist, und Ljena hat ihn ins Sanatorium begleitet und jetzt wieder<br />

herausgeholt, ihn zu sich genommen, das heißt auch zu Gyuri. ‘Ljena hat den phantastischen Glauben,<br />

dass ich gut bin’ - sagt Gyuri.“ 31 Zu dritt leben sie viele Monate lang unter der ständigen Bedrohung<br />

des unberechenbaren, mit einer Pistole bewaffneten Musikers, während Lukács an seiner Ästhetik 32<br />

arbeitet, mit der er sich nun in Heidelberg habilitieren will. „Da existiert eine schreckliche,<br />

unvorstellbare Hölle unten in Heidelberg“, notiert Balázs <strong>am</strong> 28. Mai 1917, „und Gyuri spricht<br />

einigermaßen ernsthaft davon, dass sie eines Tages alle drei tot gefunden werden könnten,<br />

[ermordet] von der Hand dieses verrückten Musikers. Und dennoch bleibt er bei ihnen, weil Ljena<br />

so sicherer ist. Gyuri ist der größte Märtyrer. Obwohl hier ein wenig auch das Nicht-handeln-Wollen<br />

hineinspielt, die Feigheit und dass man alles Schlimme im Leben lieber hinausschiebt, verschleppt,<br />

ungelöst, als dass man vom Schreibtisch aufsteht, selbst wenn man an ihm nicht wirklich arbeiten<br />

kann. Und dennoch, trotz alledem, hat Gyuri es fertig gebracht, drei lange Kapitel seiner Ästhetik<br />

inmitten von alledem zu schreiben. Um die dreihundert Seiten. Unglaublich.“ 33<br />

29 Ebd.<br />

30 Lukács, „Halálos fiatalság“ [Tödliche Jugend], in: ders., Balázs Béla és akiknek nem kell, S. 89.<br />

31 Balázs, Napló 1914-1922, S. 180. Eintrag vom 16.6.1916,<br />

32 Georg Lukács, Heidelberger Ästhetik (1916-18) [= Werke. Bd. 17. Frühe Schriften zur Ästhetik II]. Aus dem<br />

Nachlaß herausgegeben von György Márkus und Frank Benseler. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand, 1975.<br />

33 Balázs, Napló 1914-1922, S. 227. Else Ernst, die Frau von Paul Ernst, hat an die Heidelberger Trias eher<br />

romantische Erinnerungen: „Unser ungarischer Freund Georg von Lukács hatte sich mit Jenna, einer Tatarin,<br />

verheiratet und hauste mit ihr in seiner schönen Wohnung, die mit alten italienischen Möbeln ausgestattet war.<br />

Sie hatten einen sehr begabten jungen Klavierspieler bei sich, einen gebürtigen Wiener, Bruno mit Rufn<strong>am</strong>en.<br />

Unser Freund machte die Betten und wusch das Geschirr auf. Bruno kehrte und stäubte und besorgte die<br />

Einkäufe, denn Dienstboten waren d<strong>am</strong>als in Heidelberg überhaupt nicht mehr aufzutreiben. Jenna [sic], eine für<br />

europäische Augen etwas fremdartig wirkende Frau, machte in ihrer Malerwerkstatt Farbexperimente, löste<br />

schwere mathematische Aufgaben und übte <strong>am</strong> Flügel; sie beherrschte das Handwerk auf allen drei Gebieten; eine<br />

Hausfrau im deutschen Sinne des Wortes aber war sie nicht. Der Ungar wies wehmütig auf den grossen dunkel<br />

eichenen Tisch aus dem Florenz der Frührenaissance, der inmitten des geräumigen Esszimmers stand. ‘Kann man<br />

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