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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Mobilmachung in den Rang eines welthistorischen Ereignisses. „Es ist ein höheres, neues Stadium der<br />

Evolution der menschlichen Gefühle. Wir sind neue Menschen, weil drei sind hier nicht nur mehr als<br />

zwei, sondern der Durchbruch in eine neue Dimension.“ 16 Die letzten Tage in Budapest erlebt Balázs<br />

wie im Rausch. Das vom Krieg erwartete Massenerlebnis, die Vision einer entgrenzenden Erfahrung<br />

der im Leiden verschmolzenen Millionen findet seinen komplementären Ausdruck in der<br />

Beschwörung eines homogenen Dreibundes. Eines Bundes freilich, in dem Balázs im Zentrum steht,<br />

die Fäden zieht, die Position eines handlungsfähigen Subjekts zu behaupten versteht. Das Spiel mit<br />

dem Gegensatz zwischen Selbstaufgabe im gemeinschaftlichen Opfergang und der Technik der<br />

Selbstkontrolle im Geheimbund, der Führungsrolle einer exklusiven Gemeinschaft und in dieser<br />

Gemeinschaft wird Balázs weiter beschäftigen.<br />

Außer eher oberflächlichen Bemerkungen anderer zu der <strong>am</strong>bitionierten Dreierbeziehung bildet die<br />

Selbstinterpretation Balázs’ im Tagebuch die einzige Quelle, über die wir hierzu verfügen. Doch<br />

genau diese Selbstinterpretation und ihre Brüche sind das, was hier interessiert. Balázs spürt selbst,<br />

dass die völlige Preisgabe des Selbst, seine Überschreitung im Erlebnis der Verschmelzung zu dritt<br />

nicht möglich ist. Nach der Beschreibung eines rauschhaften Zus<strong>am</strong>menseins mit Anna konstatiert er<br />

ernüchtert, dass „eine solche Ekstase nur zu zweit möglich ist. Warum? Liegt es vielleicht an der<br />

Unterentwickeltheit oder sind es Hindernisse der Seelentechnik, aus der Konstruktion der Seele<br />

[...].“ 17 Und er ordnet diese Einschränkung der Sinnlichkeit sogleich einem höheren Prinzip unter, der<br />

religiösen Liebe: „Man kann in einem Moment nur in ein Augenpaar schauen, deshalb blickt man zu<br />

dritt immer nach oben. Die Ekstase zu dritt kann nur religiös sein.“ 18<br />

So bietet sich eine Interpretation dieser Dreieckskonstellation auf unterschiedlichen Ebenen an:<br />

Zunächst als Ablösungsprozess von Edith und Hinwendung zu Anna, ein Moment, in dem Abschied<br />

und Aufbruch für kurze Zeit in Eins fallen, und dies auch in den Metaphern, die Balázs dafür wählt.<br />

„Jetzt gehen wir zus<strong>am</strong>men in den Herbst wie in eine neue Stadt.“ 19 Bis 1918 wird diese Zeit der<br />

Uneindeutigkeit andauern, bis Edith sich schließlich in den russischen Arzt Aron Steinberg verlieben<br />

und nach Petersburg gehen, und Anna sich entscheiden wird, ihre längst zerüttete Ehe mit Jenö<br />

Schl<strong>am</strong>adinger zu beenden, trotz ihrer beiden gemeins<strong>am</strong>en Kinder. Auf der anderen Seite wird das<br />

16 Ebd., S. 19.<br />

17 Balázs, Napló 1914-1922, S. 19. Auch die letzte Eintragung im Tagebuch, bevor Balázs in den Krieg aufbricht,<br />

spricht vom Rausch zu zweit. „In der Nacht sind wir durch den Wald gewandert. Es war Vollmond. Edith war müde<br />

und ist schlafen gegangen. Weil sie gefühlt hat, dass die Schwärmerei zu dritt doch unmöglich ist?“ (Ebd., S. 26)<br />

18 Ebd.<br />

19 Ebd.<br />

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