12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Kurt Pinthus’ ekstatische Visionen sollten bald von der Realität in den Schatten gestellt werden. Die<br />

beiden ersten ernstzunehmenden filmtheoretischen Monographien entstanden während des Krieges,<br />

aber in den USA, fern vom Schauplatz dieser Entfesselung der Gewalt.<br />

Der Künstler und Dichter Vachel Lindsay 158 veröffentlichte 1915 The Art of the Moving Picture,<br />

ein visionäres Buch, voll überraschender Assoziationen, abwegiger Ideen und hellsichtiger Prophetien<br />

einer neuen visuellen Kultur, die den Alltag der Gesellschaft durchdringen würde. Lindsay suchte<br />

nach eigenem Bekunden die vierte Dimension von Architektur, Malerei und Skulptur: „[T]he human<br />

soul in action, that arrow with wings which is the flash of the fire from the film.“ 159 Er erkannte die<br />

Märchenhaftigkeit des Films an sich, jenseits aller möglichen Phantastik seiner Themen. „In any plays<br />

whatever you will find these apparitions and recollections. The dullest hero is given glorious<br />

visualizing power.“ 160 Lindsay betonte zugleich die Fähigkeit des Films, die Masse zu ästhetisieren,<br />

als rhythmisierte Kraft erscheinen zu lassen, wie auch die magische Wirkung des Kinos auf die<br />

Masse seiner Zuschauer. „When skillfully used, they can all exercise a power over the audience, such<br />

as the crystal has over the crystal-gazer.“ 161 In scharfem Gegensatz zu den Ausdrucksmöglichkeiten<br />

der Bühne entwickelt Lindsay Elemente einer Ästhetik der Bewegung, der bewegten Skulptur (des<br />

„action photoplay“) und des bewegten Bildes (des „intimate photoplay“), des animierten Milieus der<br />

Dinge und der Architektur (des „splendor“). Seine Ideen gipfeln in der Utopie einer universalen<br />

Sprache („a new universal alphabet“ 162 ), der Wiederkehr der Bilderschrift der Hieroglyphen.<br />

Ein Jahr später erschien Hugo Münsterbergs Studie The Photoplay 163 , die erste umfassende<br />

Untersuchung zur Psychologie der filmischen Rezeption, die in vieler Hinsicht der frühen<br />

Gestaltpsychologie nahe stand. Als erster betrachtete Münsterberg die mentalen Prozesse der<br />

Wahrnehmung des Films als Zus<strong>am</strong>menwirken von Erinnerung, Vorstellung und Perzeption, als<br />

Herstellung des Films im Kopf des Zuschauers.<br />

158<br />

Nicholas Vachel Lindsay (1879-1931), studierte Malerei in Chicago ud New York und begann 1905 als Dichter<br />

zu publizieren, zog dreimal zu Fuß als rezitierender Barde quer durch die USA und überraschte seine Leser und<br />

Zuhörer 1915 mit seinem Filmbuch, das er 1922 noch einmal in erweiterter Fassung herausbrachte.<br />

159<br />

Vachel Lindsay, The Art of the Moving Picture. New York: Liveright, 1970 [1922; 1915], S. 29.<br />

160<br />

Ebd., S. 65.<br />

161<br />

Ebd., S. 66.<br />

162<br />

Ebd., S. 203.<br />

163<br />

Deutsche Ausgabe: Hugo Münsterberg, Das Lichtspiel. Eine psychologische Studie [1916] und andere<br />

Schriften zum Kino. Hg. von Jörg Schweinitz. Wien: Synema, 1996.<br />

Hugo Münsterberg (1863-1916), Studium der Medizin und Psychologie in Leipzig, in den 90er Jahren Aufbau des<br />

psychologischen Instituts an der Harvard-<strong>Universität</strong>, betrieb experimentalpsychologische Forschungen (auch zu<br />

Fragen der Ästhetik) und gilt als Mitbegründer der angewandten Psychologie.<br />

166

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!