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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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„wortlose Andacht“, gefangen von „Gier auf diese schattenhaften Vorgänge“ 114 , die auf der<br />

Leinwand sich ihnen darbieten.<br />

Albert Hellwig entwickelt einen ganzen Katalog pathologischer Wirkungen des Kinos. 115 Sekundär,<br />

und durchaus abzustellen, erscheinen ihm dabei die Schädigung der Augen durch das Flimmern des<br />

Bildes, aber auch Sexualdelikte in der Dunkelheit der Vorführungen, Bettelei und Diebstahl. Ganz<br />

und gar ursächlich durch die „Schundfilms“ bewirkt seien dagegen die „Trübung des<br />

Wirklichkeitssinnes“ 116 , sozial gefährliche Überreizung der Phantasie 117 und „Nervenüberreizung“ 118 ,<br />

Verrohung und sittliche Verderbnis der Kinder und Jugendlichen 119 , vor allem aber „pathologische<br />

Tagträumerei [...], jene anfallsweise auftretenden Zustände, die sich zunächst als ein phantastisches<br />

Spiel mit lebhaften Vorstellungen bei erhaltener Kritik darstellen, später sich zu halluzinatorischer und<br />

illusorischer Verkennung der Umgebung steigern können und schließlich in schwere delirante und<br />

hysterische Dämmerzustände übergehen, in denen auch die eigene Persönlichkeit wahnhaft verändert<br />

erscheint“. 120<br />

Genau dies aber, die Auflösung des Subjekts unter der Hypnose der Bilder, ja selbst Rausch,<br />

Hysterie und Wahnsinn erscheinen manchen Autoren der literarischen Moderne wiederum geradezu<br />

als Ausweis einer neuen Weihe der Kunst, als deren Vorboten sie schon das Kino ihrer Gegenwart<br />

entdecken. Noch eher verhalten klingt dies bei Victor Klemperer an, der meint, „jene Kunstandacht<br />

und jener heilige Ernst, den das Publikum hier teils mitbringt, teils ungewollt findet, dürften quantitativ<br />

wie qualitativ den Weihestimmungen des gegenwärtigen Theaters überlegen sein“. 121 Schon 1909<br />

hatte Alfred Döblin die Leinwand mit einem weißen Auge verglichen, das eine Masse „mit seinem<br />

stieren Blick zus<strong>am</strong>menbannt“ 122 , und Walter Hasenclever vergleicht die Hypnose der Zuschauer mit<br />

der Weihe einer metaphysischen Begebenheit. Keine Dimension der Erde bliebe seiner Vitalität<br />

verschlossen, was aber „wäre ihm die Welt, die er lebt, wenn sie nicht Sehnsucht und Symbol - eine<br />

114<br />

Ulrich Rauscher, „Die Welt im Film“, in: Schweinitz, Prolog vor dem Film, S. 200 [zuerst in: <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Zeitung, Nr. 362, 31.12.1912 (1. Morgenblatt)].<br />

115<br />

Albert Hellwig, Schundfilms. Ihr Wesen, ihre Gefahren und ihre Bekämpfung. Halle: Waisenhaus, 1911.<br />

116<br />

Ebd., S. 41.<br />

117<br />

Ebd., S. 43.<br />

118<br />

Ebd., S. 53.<br />

119<br />

Ebd., S. 46 und 58. Schwer nachzuweisen sei aber, so Hellwig, unmittelbarer Anreiz zu Verbrechen (S. 63).<br />

120<br />

Ebd., S. 55.<br />

121<br />

Victor Klemperer, „Das Lichtspiel“, in: Schweinitz, Prolog vor dem Film, S. 171 [zuerst in: Velhagen &<br />

Klasings Monatshefte, Jg. 26, Bd. 2, H. 8 (1911/12), S. 613-617].<br />

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