12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

gefährlichste Erzieher des Volkes. [...] Die Fackelträger der Kultur eilen zur Höhe. Das Volk aber<br />

lauscht unten dem Geklapper des Kino und legt seinem Phonographen eine neue Walze auf...“ 84<br />

Doch seine Polemik bleibt auch in dem Kreis um Die Aktion und Pfemfert selbst 85 nicht<br />

unwidersprochen. Egon Friedell, Walter Hasenclever, Victor Klemperer oder der spätere Dadaist<br />

Walter Serner 86 werden sich nun, zum Teil offen auf Pfemferts Verdikt anspielend, offensiver und<br />

visionär mit dem neuen Medium auseinandersetzen. Freilich: bei all diesen Autoren bleibt es bei<br />

vereinzelten Aufsätzen und Versuchen, mit Filmszenarien die Möglichkeiten des Films auszuloten und<br />

zu erweitern. 87<br />

Einig sind sich die meisten, ob Kritiker oder Apologeten, darin, das Kino eng mit dem Erlebnis der<br />

verdichteten visuellen Wahrnehmung in den rapide gewachsenen Großstädten zu verbinden,<br />

verstanden entweder als pathologisches Symptom der moderen Gesellschaft oder als positive<br />

Erweiterung des Bewusstseins. 88 Georg Simmel hatte in Die Großstädte und das Geistesleben<br />

schon 1903 das Wahrnehmungserleben des Großstädters als radikal Neues gekennzeichnet, als<br />

„Steigerung des Nervenlebens“ durch die „rasche Zus<strong>am</strong>mendrängung wechselnder Bilder, [...] die<br />

Unerwartetheit sich aufdrängender Impressionen“. 89 Walter Benj<strong>am</strong>in wird noch viele Jahre später in<br />

seinen Studien zu Baudelaire und der Zerstörung der Aura durch das Chokerlebnis wie auch in seiner<br />

Arbeit <strong>am</strong> Passagen-Werk auf Simmel und die von ihm geschilderte, in erster Linie visuell<br />

konstituierte Erfahrungswelt der Städte und modernen Verkehrsmittel Bezug nehmen. 90 In den Jahren<br />

ab 1909 ziehen die verschiedensten Autoren Parallelen zwischen der Großstadt und ihren Massen<br />

84<br />

Ebd., S. 168f.<br />

85<br />

Siehe z.B. Ferdinand Hardekopf, „Der ‘cinéma’“, in: Der Demokrat, Jg. 2, H. 42, 12.10.1910.<br />

86<br />

Egon Friedell (1878-1938), Schriftsteller und Schauspieler, nahm sich 1938 nach der deutschen Besetzung Wiens<br />

das Leben. Walter Hasenclever (1890-1940), Schriftsteller und vor allem Theaterautor, 1933 aus Deutschland<br />

ausgebürgert, nahm sich 1940 im Internierungslager ‘Les Milles’ das Leben. Victor Klemperer (1881-1960),<br />

Literaturwissenschaftler und Schriftsteller, überlebte den Nationalsozialismus in Dresden, in sogenannter<br />

„Mischehe“ lebend und schließlich im Versteck. Walter Serner (1889-1942?), Schriftsteller, 1942 in Theresienstadt<br />

umgekommen, oder nach Auschwitz deportiert.<br />

87<br />

Auf Kurt Pinthus’ S<strong>am</strong>mlung von experimentellen Filmszenarien seiner expressionistischen Freunde, das 1913<br />

(auf 1914 vordatiert) erschien, soll hier nicht näher eingegangen werden: Kurt Pinthus (Hg.), Das Kinobuch.<br />

Leipzig: Kurt Wolff, 1914 [dokumentarische Neuausgabe: Zürich: Die Arche, 1963]. Siehe dazu insbesondere<br />

Heller, Literarische Intelligenz und Film, S. 67-79.<br />

88<br />

Vgl. dazu ausführlicher Kaes, Kino-Debatte, S. 4ff.<br />

89<br />

Simmel, „Die Großstädte und das Geistesleben“, S. 192f.<br />

90<br />

Vgl. dazu u.a. Walter Benj<strong>am</strong>in, „Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus“, in: ders.,<br />

Ges<strong>am</strong>melte Schriften. I.2 [werkausgabe Band 2]. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1980, S. 649f. Benj<strong>am</strong>in verortet<br />

im selben Kontext den Ursprung der modernen Physiognomie: „Simmels zutreffende Bemerkung über die<br />

Beunruhigung des Großstädters durch den Nebenmenschen, den er in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle<br />

sieht ohne ihn zu hören, zeigt, daß im Ursprung der Physiognomien [...] jedenfalls unter anderem der Wunsch war,<br />

diese Unruhe zu zerstreuen und zu bagatellisieren.“ (Walter Benj<strong>am</strong>in, Das Passagen-Werk. Hg. von Rolf<br />

Tiedemann. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1982, S. 560)<br />

156

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!