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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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abgesprochen, seine Wirkung als irrational, dumpf und instinkthaft gekennzeichnet, und zugleich sollte<br />

seine Wirkung auf die Zuschauer überprüfbar, messbar, beschreibbar gemacht werden.<br />

„Das Schweigen des Mediums zu bewahren und ihm eine Redseligkeit zu entlocken, seine<br />

Ungesetzlichkeit zu behaupten und seinen Eintritt in juridische, psychologische und ästhetische<br />

Gesetze zu ermöglichen, mit dieser Paradoxie beginnt die Kinodebatte.“ 71<br />

Die „Kino-Debatte“ vor dem Weltkrieg entfaltet ein breites Spektrum von Positionen und<br />

Fragestellungen. Erste Versuche, die Eigengesetzlichkeiten und Entwicklungschancen des Mediums<br />

systematischer zu bestimmen, werden durch Autoren wie Hermann Häfker 72 oder Herbert<br />

Tannenbaum 73 unternommen.<br />

71 Lorenz, Wissen ist Medium, S. 24. Thorsten Lorenz will die Paradoxien der frühen Kino-Debatten in ihrer<br />

Bedeutung für „ein epistemologisches Modell des 20. Jahrhunderts“ (S. 15) betrachten, als Paradigma der drei<br />

kritischen Wissenschaften vom Menschen, die dieses Jahrhundert geprägt haben: die Psychoanalyse, die<br />

strukturale Linguistik und die Ethnologie. Dabei interessiert ihn nicht die Verwandtschaft von Film und Traum,<br />

Film und Ursprache oder Film und Ritual, sondern die zwischen dem Film und der Theorie der Bilder, Zeichen und<br />

Symbole. Vollkommen entgegensetzt erscheinen die Erkenntnisinteressen der Arbeit von Heinz B. Heller,<br />

Literarische Intelligenz und Film. Zu Veränderungen der ästhetischen Theorie und Praxis unter dem Eindruck<br />

des Films 1910-1930 in Deutschland. Tübingen: Niemeyer, 1985. Heller breitet ein eindrucksvolles und<br />

übersichtliches Panor<strong>am</strong>a literarischer und ästhetisch-theoretischer Äußerungen zum Film aus und versteht<br />

seinen Ansatz selbst als „materialistische“ Analyse. Der marxistische Deutungsrahmen freilich, indem er der<br />

literarischen Intelligenz ihr Ungenügen nachweist, trägt nicht immer zum Verständnis der Texte, und erst recht<br />

nicht des Mediums des Films bei. Sein Versuch, eine zuweilen recht beliebig angewandte „dialektischmaterialistische“<br />

Terminologie auf die Kino-Utopien der Debatten über den Stummfilm wie auch auf eigene<br />

Ansätze zu einer differenzierten Analyse der Eigengesetzlichkeiten des Mediums und seiner Formen zu beziehen,<br />

verweisen immer wieder auf einen ungewiss bleibenden Maßstab medienästhetischer „Fortschrittlichkeit“. Die<br />

Rede von gleichzeitigen und ungleichzeitigen gesellschaftlichen „Haupt- und Nebenwidersprüchen“,<br />

bürgerlichem und nichtbürgerlichem Bewusstsein, von „Subsumtion der Autorentätigkeit unter medienspezifisch<br />

technische Produktionsbedingungen“ (S. 89), von „Dichotomisierung der kulturellen Verkehrsformen in der<br />

Klassengesellschaft“ (S. 91), von den „geschichtlich vorwärtstreibenden Widersprüche[n] zwischen der<br />

gesellschaftlichen Qualität der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen“ (S. 164) zielen auf eine<br />

Vorstellung von bewusstseinsbildendem und gesellschaftliche Erfahrung kommunikativ und revolutionär<br />

organisierendem Kino, die <strong>am</strong> ehesten noch in Brechts Radio-Theorie verbürgt erscheint, die aber schon, wie sich<br />

später noch zeigen wird, den als Kronzeugen ins Spiel gebrachten Eisenstein und seine „dialektische“ Montage<br />

rationalistisch missversteht. Siehe dazu Kapitel 12.1.<br />

72 Siehe Hermann Häfker, Kino und Kunst [Lichtbühnen-Bibliothek Nr. 2]. Mönchengladbach: Volksvereins-<br />

Verlag, 1913; sowie Hermann Häfker, Der Kino und die Gebildeten [Lichtbühnen-Bibliothek Nr. 8].<br />

Mönchengladbach: Volksvereins-Verlag, 1915.<br />

Hermann Häfker (1873-1939), Journalist, Schriftsteller und Übersetzer, publizierte seit 1907 regelmäßig über Film<br />

und Kino, gehörte zu den ersten Autoren der Zeitschrift Der Kinematograph und wurde mit seinen Schriften zum<br />

wirks<strong>am</strong>sten Autor der Kinoreformbewegung. 1933 Weigerung, der ‘Reichsschrifttumsk<strong>am</strong>mer’ beizutreten, 1936<br />

Flucht nach Prag. Nach dem deutschen Einmarsch wird Häfker nach Dachau und nach Mauthausen verschleppt,<br />

wo er <strong>am</strong> 27.12.1939, angeblich an einem ‘Herzschlag’, stirbt.<br />

73 Siehe insbesondere Herbert Tannenbaum, Kino und Theater. München: Verlag Max Steinbach, 1912,<br />

wiederabgedruckt in: Der Filmtheoretiker Herbert Tannenbaum [Kinematograph Nr. 4 (1987)]. Hg. und eingeleitet<br />

von Helmut H. Diederichs. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Deutsches Filmmuseum, 1987, S. 33-46; sowie Tannenbaums<br />

Aufsatz „Probleme des Kinodr<strong>am</strong>as“, in: Bild und Film, Nr. 3/4 (1913-1914), wiederabgedruckt in: Der<br />

Filmtheoretiker Herbert Tannenbaum, S. 53-56.<br />

Herbert Tannenbaum (1892-1958), Jurist, Autor, Kunsthändler. 1936 Emigration nach Amsterd<strong>am</strong>, wo er im<br />

Versteck überlebt, 1947 Übersiedlung in die USA.<br />

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