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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Hier freilich sieht Lukács selbst die Grenzen der Analogie von Märchen und Dr<strong>am</strong>a. Die Gestalten<br />

des Dr<strong>am</strong>as und ihre Dreidimensionalität verlangen nach einem Raum, nach Tiefe, nach<br />

Mehrschichtigkeit, nach einer ästhetischen und moralischen Imagination, die diesen Raum mit Leben<br />

erfüllt: „[S]ie [die Romance] muß eine Psychologie, eine Kosmologie, eine Ethik, etc. haben.“ 24 Es ist<br />

diese „Stilparadoxie“ 25 , jenes auf der Bühne nicht aufzulösende „Distanzproblem der Vereinigung von<br />

Gottesnähe und Lebensnähe“ 26 , das Lukács schließlich zu den Gestalten des Weisen und des<br />

Märtyrers führt. 27 Beide unterlaufen die Kausalität der Handlung: der Weise, der Magier durchschaut<br />

die Irrationaliät der Welt, die „Scheinhaftigkeit“, die „Traumartigkeit“ 28 des Lebens und des Todes,<br />

die „Absurdität des Weltlaufs“ 29 , und er bewegt nicht die Dinge selbst, sondern die sie treibenden<br />

Kräfte. Der Märtyrer hingegen, der Besessene überwindet die Kontingenz, das „Verworrene der<br />

irdischen Welt“ 30 durch die zwecklose, nutzlose Tat: das Opfer.<br />

Beide erfüllen so mit Leben, mit Tiefe, was das Märchen nur als dekoratives Spiel der Oberfläche<br />

darzustellen vermag, in der Befolgung sinnloser Gebote und Lösung ebensolcher Aufgaben: das<br />

„intellektuelle[...] Beherrschen des Sinnlosen“. 31 D<strong>am</strong>it gelänge es der ‘Romance’, dem Weisen und<br />

dem Märtyrer, dem Magier und dem Besessenen <strong>am</strong> Ende doch, Schein und Wesen, im Durchgang<br />

durch Kontingenz und Sinnlosigkeit, wieder miteinander zu verknüpfen. „In der Form des<br />

untragischen Dr<strong>am</strong>as können die Pole, die in der Tragödie endgültig voneinander getrennt waren, -<br />

die Welt und Gott, das Leben und Das Leben - nebeneinander bestehen.“ 32 Der Opfernde und der<br />

Geopferte, jeder beiden wüsste, „daß er nicht durch seine Tat aus dem Schein ins Wesenhafte erlöst<br />

wird“. 33 Und doch überbrücke jene Tat die Sphäre der Sinnlosigkeit, die Welt des Scheins -<br />

verankere das Opfer die Welt der Formen im Jenseits, in der Transzendenz.<br />

Lukács hat die Paradoxien auch in diesen Texten nicht aufgelöst, sie nur mit der ebenso paradoxen<br />

Forderung an die zeitgenössische Dr<strong>am</strong>atik ausklingen lassen, das „Mysterium ohne Theologie“ zu<br />

24<br />

Ebd., S. 9.<br />

25<br />

Ebd.<br />

26<br />

Ebd.<br />

27<br />

Lukács nennt noch eine dritte Gestalt der Romance, die rettende Frau („mulier salvatrix“, ebd., S. 27). Doch<br />

hierzu folgt kein weiteres Wort.<br />

28<br />

Ebd., S. 29. „Ein Traum, der seine Wirks<strong>am</strong>keit und Wirklichkeit nur von der in den Menschen großgewordenen<br />

Kraft der Wünsche und Leidenschaften, der Angst und der Glückssehnsucht erhält.“ (Ebd., S. 30)<br />

29<br />

Ebd. „Das Wesen dieser Weisheit ist die Einsicht, daß das Schicksal eine bloße Illusion ist“ (ebd.).<br />

30 Ebd., S. 41.<br />

31 Ebd., S. 36.<br />

32 Despoix, Ethiken der Entzauberung, S. 154.<br />

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