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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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V.<br />

„Ein Leben ohne Seele, aus reiner Oberfläche“<br />

5.1 Lukács, das „Untragische Dr<strong>am</strong>a“, das Märchen und der Film<br />

Im Sommer 1911 schrieb Lukács über Irma Seidlers Tod: „Dieses sinnlose und absurde,<br />

untragisch-katastrophale Ende ist für mich ein Gottesurteil. Ich scheide aus dem Leben aus.“ 1<br />

Wenige Monate zuvor hatte Lukács zwei Texte veröffentlicht, in denen er versuchte, gerade das<br />

Untragische, Sinnlose, Absurde als Bedingung einer Gattung und eines neuen Mediums zu<br />

beschreiben und zu rechtfertigen. Im März 1911 erschien in der Zeitschrift Die Schaubühne sein<br />

Aufsatz „Das Problem des untragischen Dr<strong>am</strong>as“ 2 und im April 1911 in der deutschsprachigen<br />

Budapester Zeitung Pester Lloyd der Aufsatz „Gedanken zu einer Aesthetik des ‘Kino’“. 3 Lukács<br />

arbeitete zugleich offenbar an einer ausführlicheren Abhandlung über das „untragische Dr<strong>am</strong>a“, die<br />

unter dem Titel „Die Ästhetik der ‘Romance’“ als Typoskript im Lukács-Archiv der Ungarischen<br />

Akademie der Wissenschaften erhalten ist. 4 Nach seiner „Metaphysik der Tragödie“ unternimmt<br />

Lukács hier nun auch eine „metaphysische Grundlegung“ einer Gattung, die er mit dem Begriff<br />

„Romance“ bezeichnet und als Form des untragischen Dr<strong>am</strong>as zu beschreiben sucht, eine Gattung,<br />

die, wie er betont, nicht „abgeschwächte (also minderwertige) Tragödie“ 5 sei, sondern gleichrangige<br />

Ausdrucksform einer eigenständigen „Weltanschauung“. 6<br />

Lukács fasst ein heterogenes Spektrum zus<strong>am</strong>men: von Shakespeares späten, märchenhaften<br />

Dr<strong>am</strong>en bis zu Gerhart Hauptmanns Und Pippa tanzt, von mythischen indischen Dr<strong>am</strong>en bis zum<br />

katholischen Calderon und den Märtyrergestalten Corneilles und Racines, von den mittlerweile fast<br />

1 Lukács, Von der Armut <strong>am</strong> Geiste, S. 80.<br />

2 Georg Lukács, „Das Problem des untragischen Dr<strong>am</strong>as“, in: Die Schaubühne, Jg. 7, H. 9 (1911), S. 231-234.<br />

3 Georg Lukács, „Gedanken zu einer Ästhetik des ‘Kino’“, in: Pester Lloyd, Nr. 90, 16.4.1911, S. 45f., hier zitiert<br />

nach: Jörg Schweinitz (Hg.), Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues Medium 1909-1914. Leipzig:<br />

Recl<strong>am</strong>, 1992, S. 300-305. Eine zweite und, wie sich noch zeigen wird, weniger radikale Fassung erschien zwei Jahre<br />

später unter beinahe dem gleichen Titel („Gedanken zu einer Ästhetik des Kino“) in der <strong>Frankfurt</strong>er Zeitung, Jg.<br />

58, Nr. 25, 10.9.1913, hier zitiert nach Fritz Güttinger (Hg.), Kein Tag ohne Kino. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Deutsches<br />

Filmmuseum, 1984, S. 195-200. Lange Zeit wurde nur die zweite Fassung rezipiert und Lukács d<strong>am</strong>it in die sich erst<br />

1912-1913 breit entfaltende Kino-Debatte eingeordnet. Jörg Schweinitz hat 1990 (wie schon Zsuffa 1987) auf die<br />

Erstveröffentlichung von 1911 hingewiesen und d<strong>am</strong>it den eigenständigen Charakter von Lukács’ Überlegungen<br />

zum neuen Medium betont. Vgl. dazu Jörg Schweinitz, „Georg Lukács’ frühe ‘Gedanken zu einer Ästhetik des<br />

Kino’ (1911/13) und die zeitgenössische deutsche Debatte um das neue Medium“, in: G. Zeitschrift für<br />

Germanistik, Jg. 11, H. 6 (1990), S. 702-710.<br />

4 Georg Lukács, „Die Ästhetik der ‘Romance’. Versuch einer metaphysischen Grundlegung der Form des<br />

untragischen Dr<strong>am</strong>as“, MTA, Lukács Archiv.<br />

5 Ebd., S. 3.<br />

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