12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

in die Beiläufigkeit des Duktus, mit dem die Geschichte anhebt. „Das war in Buda. [...] So lebten sie<br />

also und es passierte weiter nichts, als dass zum Zimmerherrn manchmal allerlei komische junge<br />

Leute k<strong>am</strong>en.“ 355<br />

Einander gegenüber stehen die Zeit der Empfindung, der spontanen Regung der Natur, und die<br />

lineare Zeit des Kalenders. „‘Wenn unter dem Mond so schöne Schafwölkchen sind, dann ist es<br />

schon der Monat Mai.’“ So spricht die analphabetische Selma, die Frau des Flickschusters. Und<br />

Novossads Tochter, die Frau des Schreibers, sagt: „‘Mai ist, wenn es im Kalender steht, [...] dort<br />

sieht man es <strong>am</strong> besten, wenn man lesen kann.’“ Der Zimmerherr schlägt sich auf die Seite der<br />

Analphabetin: „‘Das sagt gar nichts, was im Kalender steht, [...] Da steht April im Kalender und im<br />

Wald ist es Herbst, kalt und nass und welke Blätter. Wenn es im Januar schneit und kalt ist, spiegelt<br />

sich plötzlich in einem Fenster die Sonne. Was ist los? Ein Juliabend hat sich hereingeschmuggelt.<br />

Übrigens gibt es viel mehr Monate als zwölf, nur dass die andern keinen N<strong>am</strong>en haben. Aber heute<br />

Abend ist wirklich Mai.’“ 356<br />

Und es gibt die Zeit des Vergehens, des Verlusts, des Verströmens, die Zeit eines schrittweisen,<br />

undr<strong>am</strong>atischen Todes, der sich ankündigt in der wachsenden Stille des Hofes, den fallenden Blüten,<br />

dem Schweigen, das um sich greift, in den Reiseplänen, die nie als Aufbruch, immer nur als<br />

Abschied, als ein kommendes Ende zur Sprache kommen. Und so lakonisch wie der Beginn ist auch<br />

der Schluss: „‘Also ist es zu Ende mit dem Monat Mai,’ sagte der Zimmerherr.“ 357<br />

Alice und der Zimmerherr, sie spielen mit ihrem Status, ihrer gesellschaftlichen Rolle, und sie leiden<br />

unter ihr wie unter einer Last, die an ihnen haftet. Balázs, immerhin, erträumt sich noch andere Rollen<br />

und er wird noch glauben, sie gefunden zu haben. Für Alice bleibt all dies <strong>am</strong> Ende offen, nicht<br />

formbar, und erst recht für Anna Lesznai, die Balázs hier porträtierte, und deren Haltung Ferenc<br />

Fehér unübertrefflich beschrieb:<br />

„Eine solche ‘Sehende’ war die Fetische durchbrechende, durch Masken hindurchblickende, Posen<br />

auf ihren Nennwert reduzierende, vor männlicher Überheblichkeit nicht zurückweichende Anna<br />

Lesznai, Balázs’ Prinzessin aus dem perfekten, nicht wiederholten und kaum wiederholbaren<br />

Meisterwerk der Geschichte von der Logody-gasse, der Liebe und dem Tod [sic], sowie aus dem<br />

launischen und in Infanteristen-Manier ungartümelnden Kriegstagebuch Die Seele im Krieg. Anna<br />

354 Ebd., S. 12.<br />

355 Ebd., S. 1.<br />

356 Ebd., S. 2f.<br />

357 Ebd., S. 28.<br />

139

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!