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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Ein Monat lang besucht Alice, die „Prinzessin“ 348 den Hof, ihren Freund und den sterbenden Jungen,<br />

um zu malen und miteinander zu sprechen, um dem Jungen die letzten Wochen zu verschönern. Und<br />

sie weiß, dass sie selbst bald fortgeht, nach München, so wie auch er, der darauf wartet, dass sein<br />

Stipendium flüssig wird und er ins Ausland gehen kann. Alice, die „hohe, schöne D<strong>am</strong>e“ 349 in<br />

rauschendem Kleid, die von einem Automobil gebracht wird, sie verkörpert für die einfachen<br />

Menschen des Hofes die große Welt, und für den Sterbenden keimende Hoffnung. „‘Das letzte Mal<br />

hat er noch gewusst, dass er sterben muss, heute spricht er vom Gesundwerden.’“ So spricht Alice.<br />

Und Géza antwortet: „‘Vielleicht ist das doch nicht gut, was du da tust.’ ‘Was tu ich denn?’ ‘Du<br />

machst ihm das Leben lieb. Er war schon fertig d<strong>am</strong>it und du pflanzst ihm wieder Sehnsucht ein.’“ 350<br />

Alice spürt in den Gefühlen des Knaben etwas, das größer ist als jede Liebe, die sie erlebt hat, spürt<br />

eine vergebliche Sehnsucht danach, selbst „so bitterweh verliebt“ 351 zu sein. Doch „Liebe“ so stimmt<br />

Géza ihr zu: „vielleicht dürfte dieses Wort auch nur ein Sterbender aussprechen. [...] Welche<br />

mächtige Sicherheit bietet [...] der Tod, welche Überlegenheit. Mit einem Sterbenden kann man nicht<br />

konkurrieren.“ 352<br />

Die kleine Welt dieses Gartens <strong>am</strong> Abhang der Burg ist eng und weit zugleich. Auf den<br />

weißgetünchten Mauern tanzen Schatten, und an den Menschen kleben die Erinnerungen an ferne<br />

Städte. Und umgekehrt: „Wohin man geht, man nimmt sich mit“, schrieb Ernst Bloch einmal und die<br />

Gestalten dieser Erzählung tragen immer eine Welt mit sich herum:<br />

„‘Fein, dass du deine verrückte Umgebung immer bei dir hast, wie ein Schneckenhaus’“ 353 , so<br />

spricht Alice. Und Géza an anderer Stelle: „‘Ich glaube, dass jeder Mensch in sich ein paar<br />

Landschaften trägt. Und er sieht nur das, was er kennt. Vielleicht war das alles in seinem früheren<br />

Leben.’ ‘Ich glaube, man reist überhaupt nicht. Man erinnert sich nur und vergisst.’“ 354<br />

Balázs’ Geschichte spielt mit verschiedenen Dimensionen der Zeit. Ihr Rahmen ist die zyklische Zeit,<br />

sie beginnt mit einer klaren Mondnacht und ihrem Schattenspiel, der überquellenden Vegetation des<br />

Gartens und dem Licht des Wirtshauses, und die Erzählung endet auch d<strong>am</strong>it, ein Monat kommt und<br />

geht. Darunter liegt eine Zeit, die schwebend fließt, ohne Zäsuren und Rhythmik, die sich einschreibt<br />

348 „Ich hab den Leuten hier erzählt, dass du eine Prinzessin bist, dass das aber geheim gehalten werden muss.“<br />

(Ebd., S. 14) Der Zimmerherr will den einfachen Menschen des Hofes ein Erlebnis verschaffen, insbesondere dem<br />

Jungen, „der lebend nicht mehr herauskommt“ (ebd., S. 15). Alice will zunächst nicht wiederkommen, doch sie wird<br />

es sich noch anders überlegen.<br />

349 Ebd., S. 7.<br />

350 Ebd., S. 18.<br />

351 Ebd., S. 19.<br />

352 Ebd., S. 26.<br />

353 Ebd., S. 9.<br />

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