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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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„Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption“ 342 , hat Benj<strong>am</strong>in mehr als zehn Jahre später trocken<br />

in der Einbahnstraße konstatiert. Doch Balázs glaubte noch an die Wirkung der Literatur auf das<br />

„wirkliche“ Leben, auch auf das eigene, ein sich selbst als fatal empfindendes und darin sich<br />

gefallendes Bewusstsein: „Jedes Selbstbildnis, ob Gedicht, ob Gemälde oder Musik, ist ein partieller<br />

Selbstmord. Ist es in den Formen zum Abschluss gekommen, löst es sich ab.“ 343 Das Werk als<br />

Totenmaske des eigenen Selbst, in diesem Gestus macht sich Fatalismus als heroische Stilisierung<br />

geltend, denn schließlich geht es darum, jeden dieser Selbstmorde, dieser Tode zu überleben.<br />

Auch in der „realistischen“ Form seiner Novellen versucht Balázs zu realisieren, was er „Panpoesie“<br />

genannt hatte. Die Menschen und die Dinge kommunizieren miteinander, unterschwellig aber<br />

wirks<strong>am</strong>, und zuweilen auch ganz explizit: So in der Novelle „Mariannes Land“ 344 , wo sich<br />

Mariannes Geliebter, der sie nach einem durchliebten Sommer im Herbst endlich Zuhause besucht,<br />

einem fremden, ja feindlichen „Land“ gegenüber sieht. Hier sind die Dinge Ausdruck, ja lebendige<br />

Fortsetzung von Mariannes Persönlichkeit, in der er nicht heimisch werden kann. „Alles Zeichen von<br />

Gewohnheiten, Stücke weithin verzweigter unbekannter Leben, die sich in dieses kleine Zimmer<br />

drängten. [...] Und diese Gegenstände wurden auch lebendig. Sie umzingelten mich, sie vermischten<br />

sich.“ 345<br />

Schließlich schildert Balázs in seinen Novellen immer wieder aufs neue den Versuch, die Masken der<br />

Konventionen, der Herkunft und der Formen abzustreifen, den Versuch der „Seelen“, miteinander zu<br />

kommunizieren. Oder umgekehrt: die Versuche, in eine andere Identität zu schlüpfen, eine Form<br />

auszufüllen, die nicht die eigene ist, der man nicht genügt. Eine der Novellen, die Balázs selbst nie<br />

veröffentlichte, spielt mit diesem Motiv und scheint zugleich an Irma Seidler zu erinnern, jedenfalls an<br />

das von eigenem Hochmut geprägte Bild, das Balázs und auch Lukács sich wohl zeitweise von ihr<br />

machten.<br />

Eine Frau versucht einen Mann zu lieben, der ihr intellektuell hochgradig überlegen ist, sie eifert ihm<br />

nach, möchte in seine Welt eintreten können, doch er vermag nicht, sie dort aufzunehmen, vermag<br />

nicht, sie zu befriedigen. Nach zwei Jahren besucht der Ich-Erzähler diesen Mann, seinen Freund,<br />

der gerade von der Frau verlassen worden ist. Und wenig später trifft er die Frau auf einem<br />

342<br />

Walter Benj<strong>am</strong>in, „Einbahnstraße“ [1928], in: ders., Ges<strong>am</strong>melte Schriften. IV.1 [werkausgabe Band 10].<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1980, S. 107.<br />

343<br />

Balázs, „Halálesztétika“, S. 310.<br />

344<br />

Vgl. Béla Balázs, „Marianne országa. Egy neurasthéniás nap története“ [Mariannes Land. Die Geschichte eines<br />

neurasthenischen Tages], in: ders., Kalandok és figurák. Novellák, S. 7-31 [wiederabgedruckt in: ders., A csend,<br />

S. 87-107, zitiert nach einer Übersetzung von Magdalena Ochsenfeld].<br />

345<br />

Ebd., S. 28.<br />

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