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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Begabten, gehöre er nicht an. Die Hierarchie der von Lukács nur andeutungsweise vorgestellten<br />

metaphysischen Kasten lässt sich in der Tat als dreistufiges Modell interpretieren, wie dies auch<br />

Philippe Despoix vorschlägt: „[D]ie des täglichen Lebens, von der sozialen Pflicht beherrscht; die der<br />

Kunstformen, in der alles der Verwirklichung des Geistes auf Kosten des Lebens unterworfen wird;<br />

schließlich die des ‘lebendigen Lebens’, die Sphäre der Güte und der Gnade.“ 245 Lukács nennt<br />

Dostojewskis Gestalten, die in ihrer naiven Güte der Gnade teilhaftig werden, als Beispiel. „Und sehn<br />

Sie, auch ihre Güte ist fruchtlos, verwirrend und ohne Folge. Sie ragt unverständlich und<br />

mißverstanden aus dem Leben heraus [...].“ 246 Und sie bedeutet zugleich „die Rückkehr in das<br />

wirkliche Leben“. 247 So stehen auch in der Armut <strong>am</strong> Geiste das Leben und das Leben einander von<br />

Verwirrung bedroht gegenüber. „Was kümmert es mich, welches Leben Sie Leben nennen! Es<br />

kommt nur darauf an, die beiden Leben streng voneinander zu scheiden.“ 248 Zwischen der Ethik der<br />

sozialen Normen und Pflichten und der zweiten Ethik einer unbedingten, nicht berechnenden,<br />

folgenlosen Güte, der Gnade, tut sich ein Abgrund auf. Lukács’ mittlere Kaste, die Kaste des<br />

Geistes und der Ästhetik, der Formen und der Verheißung, ist freilich nirgendwo anders zu finden als<br />

in diesem Abgrund. Und er spricht offen aus, dass die ganze Vorstellung einer Aufteilung der<br />

Menschen in Kasten nur aus diesem Abgrund heraus denkbar ist. „Der Substanzhunger des Geistes<br />

zwingt ihn, die Menschen in Kasten einzuteilen, um aus dieser wirreinheitlichen Welt die vielen klaren<br />

Welten der Formen zu erschaffen.“ 249 D<strong>am</strong>it sind die Formen als Gleichnis gedacht, als „Spiegelbild<br />

vom Gange des Geistes. [...] Erlösung der Substanz aus der Unwahrheit ins Wahre“. 250<br />

„Wenn ich die Güte hätte, wenn ich ein Mensch wäre, hätte ich sie retten können.“ 251 Doch welche<br />

Rettung könnte die derart als folgenlos, sinnlos, unverständlich gekennzeichnete Güte bedeuten?<br />

Lukács löst diese Paradoxie nicht auf, sein Modell der Kasten gibt keinen Hinweis darauf, dass es<br />

ein gemeins<strong>am</strong>es Leben hätte geben können. Was es aber nicht hätte geben dürfen, das war „dieses<br />

sinnlose und absurde, untragisch-katastrophale Ende“. 252 Dies sei das Gottesurteil. Sinnlos und<br />

absurd, untragisch-katastrophal, dies freilich sind auch die Kennzeichen dessen, was Dostojewskis<br />

Gestalten der Güte gewöhnlich anrichten. Worin also bestünde die Rettung? Darin, dass Lukács sich<br />

245 Despoix, Ethiken der Entzauberung, S. 160.<br />

246 Lukács, „Von der Armut <strong>am</strong> Geiste“, S. 74.<br />

247<br />

Ebd., S. 75.<br />

248<br />

Ebd.<br />

249<br />

Ebd., S. 90.<br />

250<br />

Ebd.<br />

251<br />

Ebd., S. 75.<br />

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