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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Erfahren des Geheimnisses. Meine Unmenschlichkeit [...].“ 241 Und zuvor: „Verhältnis zu H. -<br />

Verhältnisse zu Menschen haben nur in der Sphäre Gültigkeit, wo das lebendige Leben<br />

webt. Mir gegenüber ist ‘menschlich’ jedem alles gestattet. Dadurch, dass ich sie nicht gerettet habe,<br />

bin ich menschlich vogelfrei geworden.“ 242 Es scheint, als hätte Lukács tatsächlich schon im Sommer<br />

1911 von dem „Geheimnis“ gewusst, und so war der Dialog, den er Balázs im August zusandte,<br />

zugleich so etwas wie ein Senkblei, ein Lot, das er in Balázs’ Gewissen eintauchte.<br />

Lukács’ Dialog über die Armut <strong>am</strong> Geiste entfaltet noch einmal, und scheinbar radikaler als je zuvor,<br />

Lukács’ quälende Frage nach seinem Recht darauf, sich dem Leben zu verweigern und dennoch<br />

weiterzuarbeiten. Und der Dialog tritt in ein paradoxes Verhältnis zu seiner, Lukács’, tatsächlicher<br />

Entscheidung. Wie in Balázs’ Dialog über den Dialog nennt er die weibliche Protagonistin<br />

„Martha“. Doch das ist schon alles, was diese beiden Dialoge miteinander verbindet, abgesehen<br />

davon, dass Balázs der erste (wenn auch vielleicht nicht der wichtigste) Adressat dieses Essays war.<br />

Martha ist die Schwester der jungen Frau, deren Selbstmord sich Marthas Dialogpartner, ein junger<br />

Mann, als Schuld zurechnet. Martha schildert diesen Dialog in einem Brief an den Vater des jungen<br />

Mannes, der sich zwei Tage nach ihrem Gespräch seinerseits das Leben genommen hat. Gleich zu<br />

Beginn des Dialogs gibt Lukács Balázs einen zweideutigen Hinweis: „Ich weiß, daß ich ihren Tod<br />

verschuldet habe“, spricht der Mann, und Martha antwortet: „Sie? Sie wissen doch, daß -“ „Lassen<br />

wir das, Martha. Natürlich weiß ich es. Jetzt weiß ich es, nachdem alles geschehen ist und wir alles,<br />

was zu wissen ist, erfahren haben.“ 243<br />

Der Dialog mit dem rätselhaften und erst spät aufgelösten (und Meister Eckhart entlehnten) Titel<br />

spielt verschiedene Modelle, Rechtfertigungen und Urteile über die Entscheidung des Mannes durch,<br />

im Bewusstsein der Schuld aus dem „Leben“ zu treten und sich ausschließlich der Arbeit, dem Werk<br />

zu verschreiben. Der Schluss freilich, sein Selbstmord, dementiert sie alle, und dies wäre Grund<br />

genug, auch das Modell, in das die Argumente schließlich gipfeln, nicht rundheraus als Lukács’<br />

tatsächliche „Position“ zu deuten. „Sie wollen,“ so fragt Martha, „wenn ich sie richtig verstehe, die<br />

Kasten auf metaphysischer Grundlage neu errichten. In ihren Augen gibt es also nur eine Sünde: die<br />

Vermengung der Kasten.“ Seine Antwort lautet: „Sie haben mich wundervoll richtig verstanden.“ 244<br />

Helfen zu wollen, das sei seine Übertretung gewesen, denn dieser höchsten Kaste, der zur Güte<br />

241<br />

Lukács, Napló-Tagebuch, S. 95.<br />

242<br />

Ebd., S. 93.<br />

243<br />

Georg Lukács, „Von der Armut <strong>am</strong> Geiste“, in: Neue Blätter, Jg. 2, H. 5/6 (1912), S. 68f.<br />

244 Ebd., S. 90.<br />

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