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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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das - die Positionen ihres Freundes zaghaft unterstützend, ohne ihrerseits etwas davon zu verstehen -<br />

von der augenscheinlichen Überlegenheit Joachims ein ums andere mal brüskiert wird. Und dieses<br />

Missverstehen treibt den Dialog voran, bis zu seinem scheinbar paradoxen Ende. Vinzenz, im<br />

überwältigenden Bewusstsein seiner Niederlage, die Kraft von „Joachims Weltanschauung“ 215<br />

spürend, ist sicher, dass auch das Mädchen dies ebenso empfindet. Er schweigt und würde <strong>am</strong><br />

„liebsten Fortgehen und den K<strong>am</strong>pf aufgeben“. 216 Joachim missversteht das Schweigen als<br />

Desinteresse Vinzenz’, aber er spürt die Feindseligkeit des Mädchens. Joachim verlässt den<br />

Schauplatz, das „Mädchenzimmer“ der jungen Studentin, und überlässt Vinzenz das Feld, der<br />

unsicher versucht, an die Stimmung vor Joachims Besuch anzuknüpfen, und die unterbrochene<br />

Lektüre Sternes wieder aufnimmt. Doch auch das ist ein Missverständnis, denn das Mädchen<br />

erwartet nun etwas ganz anderes, das schließlich auch endlich geschieht, etwas, „wozu die ganze<br />

lange Debatte nur eine höchst überflüssige Vorbereitung war“ 217 : den Kuss.<br />

Um den Essay entspann sich ein delikater Briefwechsel zwischen Popper und Lukács. Am<br />

25.10.1909 schreibt Popper: „[D]as ist aber ein schwieriges Briefchen, das ich jetzt schreibe. Um<br />

Aufschub zu erlangen, habe ich Dir vorgestern eine Karte geschickt, worin ich durchschimmern ließ,<br />

daß mir die Antwort nicht leicht fällt [...]. Der Sterne-Aufsatz gefällt mir nicht.“ 218 Popper versucht<br />

gleichwohl diplomatisch zu bleiben. Dieser „Aufsatz ist nicht ganz der Deine [...] dort verfolgst Du<br />

nicht ganz Deinen eigenen Weg.“ 219 Lukács’ „Auseinandersetzung über ‘geschlossene und offene<br />

Kunst’“ 220 knüpfe wohl an eigene, an Poppers Vorstellungen an, freilich an solche, die Popper selbst<br />

schon für überholt halte.<br />

Poppers Einwände betreffen zunächst die Verknüpfung des Themas mit dem erotischen<br />

Hahnenk<strong>am</strong>pf, die er willkürlich findet, und in der „das Mädchen immer mehr zum Requisit“ 221<br />

214<br />

Schneider, Essay, Moral, Utopie, S. 171. Schneider interpretiert Lukács’ Konstruktion als Form der „projektiven<br />

Abwehr“ (S. 173), einer Aufspaltung „in ‘gut’ und ‘böse’, Anerkanntes und Verleugnetes“ (S. 171).<br />

215<br />

Lukács, Die Seele und die Formen, S. 216.<br />

216<br />

Ebd.<br />

217<br />

Ebd., S. 217.<br />

218<br />

In: Lukács, Briefwechsel, S. 82.<br />

219<br />

Ebd., S. 83. Gleich darauf schickt Popper ein Telegr<strong>am</strong>m, Lukács solle den Brief nicht öffnen. Lukács aber öffnet<br />

den Brief und schickt seinerseits Popper ein Telegr<strong>am</strong>m, in dem er behauptet, Poppers Telegr<strong>am</strong>m sei zu spät<br />

gekommen. Einen Tag später schreibt er noch einmal an Popper und gibt zu, er hätte gelogen. Aber wegen der<br />

Postkarte (in der Popper geschrieben hatte, er solle sich wegen des Ausbleibens eines ausführlichen Kommentars<br />

nicht beunruhigen) hätte er doch Befürchtungen gehabt, vermutlich Poppers Krankheit betreffend. Popper<br />

wiederum sendet <strong>am</strong> 26.10.1909 einen weiteren Brief an Lukács, in dem er seine Einwände gegen den Aufsatz neu<br />

formuliert.<br />

220<br />

Ebd.<br />

221 Ebd., S. 82.<br />

115

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