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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Dinge“ 208 , „geboren aus dem Wunsche, Menschliches zu schaffen, geboren aus der Vermählung<br />

dieses Wunsches mit dem Ding“. 209<br />

Ähnlich wie Balázs versuchte Lukács in seinem Essay über „geschlossene und offene Kunst“ 210 , eine<br />

literarischere Form zu finden, die den verhandelten Gegenstand mit einem dr<strong>am</strong>atischen Personal des<br />

Dialoges verband. Zwei Studenten streiten darin über das Werk von Lawrence Sterne, ein Mädchen<br />

bildet dabei ihr Publikum, ohne viel zu sagen zu haben. Vinzenz, der Freund des Mädchens, ergreift<br />

für Sterne und d<strong>am</strong>it für eine „Ethik der Augenblicke“ 211 Partei, für den „wogenden Reichtum, womit<br />

jede kleinste Lebensoffenbarung in seinen Schriften überschüttet ist“. 212 Joachim hingegen<br />

repräsentiert die Ethik der Ordnung und das Prinzip der Form, genauer: die „eine Seele“, in der<br />

„beides gleich gewaltig vorhanden ist: Chaos und Gesetzmäßigkeit, Leben und Abstraktion, der<br />

Mensch und sein Schicksal, Stimmung und Ethik. [...] Und nur wenn sie zus<strong>am</strong>men vorhanden sind,<br />

wenn sie in jedem Augenblick zur unzertrennlichen, lebendigen Einheit verwachsen sind, nur dann ist<br />

der Mensch wirklich Mensch und sein Werk wahre Totalität, ein Sinnbild der Welt.“ 213 Nur<br />

unschwer ist hier schon Lukács’ späteres Progr<strong>am</strong>m der großen realistischen Epik zu erkennen, und<br />

doch: Joachim bekämpft nicht einfach ein feindliches Prinzip, das Prinzip der Auflösung aller Formen,<br />

das Prinzip der Preisgabe an die Kontingenz des Lebens. Joachim bekämpft, wie Christian<br />

Schneider schreibt, Lukács’ eigenes alter ego, den „Vertreter dessen, was wir als Luziferismus des<br />

Lebens bezeichneten: der ‘Vorzeitige’, der hic et nunc die Utopie im empirischen Leben gestalten<br />

will. Er bezeichnet d<strong>am</strong>it den prinzipiellen Gegenpol zum Standpunkt des ethischen Repräsentanten,<br />

der das ‘Opfer des Lebens’ auf sich nehmen muss, um durch die ordnungstiftende Kraft der ‘Form’,<br />

der gelebten Ethik, die Bedingung der Möglichkeit allgemeiner Erlösung paradigmatisch<br />

aufzuzeigen.“ 214 Dies macht den K<strong>am</strong>pf nur noch unerbittlicher, den Joachim schließlich intellektuell<br />

auf vernichtende Weise für sich entscheidet. Lukács dr<strong>am</strong>atisiert diesen K<strong>am</strong>pf zugleich als eitlen<br />

K<strong>am</strong>pf um die Gunst der Zuhörerin, die keinen N<strong>am</strong>en hat, nur „das Mädchen“ heißt. Dabei variiert<br />

auch er das Motiv des Missverständnisses. Immer wieder heißt es in den ausufernden<br />

„Regieanweisungen“ im Text, dass Joachim und Vinzenz die Signale des Mädchens missverstehen,<br />

208 Ebd., S. 12.<br />

209 Ebd., S. 10.<br />

210 Leo Popper an Georg Lukács, 25.10.1909, in Lukács, Briefwechsel, S. 83.<br />

211 Lukács, Die Seele und die Formen, S.212.<br />

212 Ebd., S. 186.<br />

213 Ebd., S. 212.<br />

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