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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Von solcher „Frivolität“ des Denkens sind Georg Lukács und Leo Popper weit entfernt. Der Preis<br />

dafür aber ist hoch. Beide haben ihre Auffassungen über das Kunstwerk und das Leben, über offene<br />

und geschlossene Formen ebenfalls in Dialogform stilisiert, Lukács 1909 in seinem Essays<br />

„Reichtum, Chaos und Form: Ein Zwiegespräch über Lawrence Sterne“, den er in den Band Die<br />

Seele und die Formen aufnahm, Popper schon in seinem zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlichten<br />

„Dialog über Kunst“, der auf das Jahr 1906 datiert.<br />

Leo Popper hatte darin den Gestus des „reinen Vorläufers“, den Lukács mit dem Essay verband,<br />

vorweggenommen und dieser messianischen Erwartung der „großen Synthese, [...] das süße<br />

Märtyrertum des Vorletzten; [...] des Ewig-Vorletzten“ 203 einen anderen Begriff vom Verhältnis<br />

zwischen offenem und geschlossenen Kunstwerk entgegengesetzt, für den die Rezeption zum<br />

konstitutiven Faktor des Werkes selbst wird. „Und mag das Werk für sich allein nun offen sein oder<br />

nicht, es ist dies von keinem Belang für das Werk als letztes Resultat, denn auch das offene Werk ist<br />

dies nur ‘an sich’; sowie der Empfänger dazu tritt, schließt sich der Kreis [...] Eines jeden<br />

Kunstwerkes letzter Schluß ist der Empfangende.“ 204 D<strong>am</strong>it aber war, so hebt Philippe Despoix<br />

hervor, auch das „Missverständnis“, die Wirkung wider Wissen und Intention, dem Popper einen<br />

eigenen Essay widmen wollte 205 , zur notwendigen Bedingung des Werkes geworden, und dies gleich<br />

in zweierlei Hinsicht: als Missverständnis des Rezipienten gegenüber dem Werk, und als<br />

Missverständnis des Schöpfers gegenüber dem Schaffensprozess selbst.<br />

Dem Gestus des „großen Zweiflers“ 206 aber misstraut Popper zutiefst. Denn wo der Zweifler<br />

entkräftet niedersinke, bleibe die Herde stehen, und dort „errichten sie sofort den Altar des<br />

Rechten“. 207 Anstatt auf das Endgültige zu verweisen, anstelle Verheißung der Erlösung zu sein,<br />

liefere Kunst immer wieder aufs neue geschlossene Form, indem der Mensch sein Maß an die Dinge<br />

anlegt, ihnen Geschlossenheit verleiht, Anfang und Ende. So wie sein Leben ihm die Unsterblichkeit<br />

nehme, so nehme der Mensch sie der Natur durch die Kunst. Dies sei „die Antropomorphie der<br />

203<br />

Leo Popper, „Dialog über Kunst“ [1906], in: ders., Schwere und Abstraktion, S. 12.<br />

204<br />

Popper, „Dialog über Kunst“, S. 10.<br />

205<br />

In einem Brief vom 7.10.1910 kündigt Popper an, „vielleicht doch die Theorie des Mißverständnisses für die<br />

Renaissance“ zu machen (in: Lukács, Briefwechsel, S. 146). Zu Poppers Ansätzen zu einer solchen Theorie des<br />

„produktiven Missverständnisses“, z.B. in seinen Aufsätzen über Breughel und van Gogh, siehe Despoix,<br />

Ethiken der Entzauberung, S. 114-120.<br />

206<br />

Popper, „Dialog über Kunst“, S. 13.<br />

207 Ebd.<br />

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