12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

kaum an. Doch er verweist sie auf ein universales Prinzip, indem er einen Begriff einführt, der in<br />

Balázs’ Werk fortan eine zentrale Position einnehmen wird: die „Panpoesie“.<br />

In seinem Novalis-Essay hatte Lukács kurz zuvor die Panpoesie als Prinzip der Romantik<br />

charakterisiert: „Die Weltanschuung der Romantik ist der echteste Panpoetismus: alles ist Poesie und<br />

die Poesie ist das ‘Eins und Alles’“ 198 Balázs hatte keine Bedenken, sich mit dieser Weltanschauung<br />

distanzlos zu identifizieren.<br />

Michael führt selbst den empirischen Kritizismus Machs und Avenarius’ ins Feld, um die<br />

Geborgenheit in der Weltmaterie allegorisch zu illustrieren. Einen solchen Umgang mit<br />

philosophischen Systemen, ihre Verwendung als reine Illustrationen, als „Bilder“ konnte Lukács nur<br />

als frivol empfinden. Balázs bekennt sich dazu ganz explizit: „Die großen Systeme: sie sind große<br />

Vereinfachungen, große Erleichterungen - große Stilisierungen. Und derselbe Lebensinstinkt gebiert<br />

die Kunst.“ 199 Und einmal auf diesem Weg, deutet nun Michael, ähnlich wie Bergson, die ganze Welt<br />

der Erscheinungen als Konstruktion: „Das bloße Kennenlernen und Erblicken der Dinge ist bereits<br />

Vergleich, Korrektur, Fortsetzung aus dem Gedächtnis. Es gibt keine einfache Wahrnehmung ohne<br />

Konstruktion. [...] Derselbe Lebensprozess bringt die Märchen des Dichters hervor, die Visionen<br />

des Verrückten, und unser wirkliches Leben, und zwischen uns besteht kein Realitätsunterschied.“ 200<br />

Er suche nicht nach der Substanz der Dinge, nennt stattdessen „das Wesen der Welt: Poesie“, den<br />

einzigen Lebensprozess, der sich uns unmittelbar, jenseits der Erscheinungen erschließe: „[D]enn jede<br />

Erscheinung ist durch sie entstanden, weil sie die Darstellung an sich ist. Die Welt ist Panpoesie.“ 201<br />

Mit diesem „Ich dichte, also bin ich“ des Künstlers sind die beiden Liebenden, miteinander längst<br />

versöhnt, bei den letzten Dingen angelangt. „Martha: [...] Wenn ich die Welt dichte, wer dichtet<br />

mich? [...] Michael: Ich weiß nicht. - Gott.“ Und der trüge den N<strong>am</strong>en „Ich weiß nicht“ genauso gut<br />

wie den des „ich weiß“, dann jedenfalls, wenn Michael den Kuss des Lebens auf seinem Herzen<br />

spürt, oder Martha ihn küsst, die sich freut, keinen Gelehrten zu lieben, sondern „nur einen<br />

Dichter“. 202<br />

198 Lukács, Die Seele und die Formen, S. 72.<br />

199 Ebd., S. 50. Balázs zitiert Avenarius, nach dem die Philosophie „ein Denken der Welt gemäß dem Prinzip des<br />

kleinsten Kraftmaßes“ sei.<br />

200 Ebd., S. 47.<br />

201 Ebd., S. 49.<br />

202 Ebd., S. 51.<br />

112

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!