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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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nun, offen darauf anzuspielen. Martha, so scheint es, triumphiert, denn nun verteidigt Michael die<br />

Möglichkeit der Berührung zweier Menschen im Gespräch gegen Einwände aus der Runde. Doch als<br />

das Gespräch auf die Realität trifft, den Dialog im Polylog, und auf die Frage, ob solch ein<br />

verdecktes Gespräch ohne Lüge geführt werden könne, bricht aus Michael ein K<strong>am</strong>pfruf gegen die<br />

Lüge heraus, die ein absolutes, ein metaphysisches Verbrechen sei. „Die Lüge ist der absolute<br />

Gegner jedes Lebens. Nicht der Tod, sondern das Nichts! [...] es ist ein schwerwiegenderes<br />

Verbrechen als der Diebstahl, der Mord, denn jene sind nur gesellschaftliche Verbrechen.“ 194 Emma<br />

greift nun entschieden ein, denn sie spürt Gefahr, auch wenn sie nicht wirklich weiß, was sich hinter<br />

den Zweideutigkeiten der beiden verbirgt. Mit einer allegorischen Erzählung rechtfertigt sie die kleine<br />

Lüge Marthas beim Betreten des Salons, die d<strong>am</strong>it doch nur das „wunderbare Geständnis“ versteckt<br />

habe, das zwischen ihnen etwas existiert, was nur ihnen beiden gehört.<br />

Die dritte Szene ist Balázs nicht recht gelungen. Er versucht hier, ein Sich-ins-Leben-auflösen der<br />

zuvor so dr<strong>am</strong>atisch zugespitzten Fragen zu gestalten, um den Preis, dass auch die Form seines<br />

Dialogs sich auflöst.<br />

Am nächsten Tag hat sich die Stimmung zwischen den beiden entspannt. Nun plaudern sie beide, bei<br />

summendem S<strong>am</strong>owar, über Liebe und Freundschaft, über die unsichtbaren Seelen, in die sich die<br />

Gefühle, unabhängiges Leben annehmend, verwandeln und die die Zwischenräume zwischen den<br />

Menschen füllen. 195 „Man muss die Dinge nicht kennen sondern leben“ 196 , sagt Michael, und d<strong>am</strong>it<br />

siegt endgültig der Künstler über den Philosophen. Der Dialog sei ein „phantastisches, mystisches<br />

Abenteuer“ 197 , und auch Martha fühlt sich nun in ihren gemeins<strong>am</strong>en Gefühlen sicher und geborgen.<br />

Woher diese Geborgenheit, diese neue Vertrautheit zwischen den beiden st<strong>am</strong>mt, deutet Balázs<br />

194 Ebd., S. 34. Balázs hat seinem Tagebuch wiederholt Reflexionen über die Sünde der Lüge anvertraut, nicht nur<br />

1911 und 1913, als er sich mit seiner eigenen Unwahrhaftigkeit in Bezug auf Irma Seidlers Selbstmord konfrontiert<br />

sah. Schon <strong>am</strong> 4.8.1908 hatte er die hier zitierte Passage des Dialogs fast wörtlich im Tagebuch niedergeschrieben.<br />

Dort heißt es weiter: „Es gibt ein instinktives menschliches Gefühl, dass Lüge nicht an ihren Folgen gemessen<br />

werden sollte, weil sie in sich selbst sündhaft ist. [...] Die Sünde ist eine Lüge gegen das Bewusstsein, gegen das<br />

Leben.“ (Balázs, Napló 1903-1914, S. 476) Am selben Tag ist auch vom Dialog über den Dialog die Rede, den<br />

Balázs offenbar schon 1908 begonnen hat.<br />

Noch 1916 notiert Balázs nach einer Auseinandersetzung mit Oskar Jászi über die Frage, ob nicht eine<br />

Unwahrhaftigkeit im Dienste des sozialen Lebens durchaus gerechtfertigt sein kann, er und Lukács hätten scharf<br />

widersprochen: „Die Lüge ist die ewige Fremdheit der Seelen zueinander. Die dem gesellschaftlichen Leben<br />

geschuldete Lüge zernagt von ihrer Wurzel her auch jede Möglichkeit einer gewollten Wahrheit.“ (Balázs, Napló<br />

1914-1922, S. 174)<br />

195 Balázs verweist auf Dostojewski, bei dem auch die Beziehungen zwischen den Menschen ihre eigene Seele<br />

besitzen würden.<br />

196 Balázs, Dialogus a dialogusról, S. 39.<br />

197 Ebd.<br />

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