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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Im Herbst 1913, wieder in Budapest und inmitten turbulenter Szenen - Ljena Grabenko „betrügt“<br />

Lukács nun mit Balázs’ Bruder Ervin 108 - kommt es zur „Aussprache“. Balázs schreibt darüber im<br />

Tagebuch: „Einmal - wir saßen an den Abenden lange zus<strong>am</strong>men - bin ich schlafen gegangen und er<br />

ist draußen geblieben mit Edith. [...] Erstaunlich, dass ich in dem Moment, als er dass Zimmer betrat,<br />

wusste, worüber er reden möchte, obwohl es kein á propos dafür gegeben hat, und da er darüber<br />

drei Jahre lang nicht gesprochen hatte, hatte ich keinen Anlass anzunehmen, dass er gerade jetzt<br />

darüber sprechen mochte. Er wollte über Irma sprechen. Aufgeregt ging er auf und ab, kaute an<br />

seiner Zigarre, räusperte sich - und ich wartete mit klopfendem Herzen. Schließlich sagte er: wir<br />

müssen dies endlich besprechen, denn zwischen uns darf es in wichtigen Dinge keine Lügen und<br />

keine Geheimnisse geben. Was Irma betrifft, er wüsste alles. Schon d<strong>am</strong>als alles gewusst. Und es<br />

habe ihm sehr weh getan, dass ich ihm nicht so weit vertraut habe, trotz allem mit ihm darüber zu<br />

sprechen. [...] In meinem Innern: Erschrockenheit und Schmerz, Beschämung, Schuldbewusstsein,<br />

Verlegenheit und sonstwas, aber ich war trotzdem glücklich. Wie immer, jetzt bringen wir es hinter<br />

uns und ich werde frei atmen können. Und ich werde Gyuri frei in die Augen schauen können, dem<br />

einzigen Menschen, dem gegenüber ich mich wegen Irma verantwortlich und auch schuldig fühlte. Ich<br />

weiß nur deshalb, was Schuld sei, aber das wirklich. Ich erzählte ihm, was ich auch in meinem<br />

Tagebuch schon geschrieben hatte. Zeigte ihm auch das Tagebuch. Sie hat mich geliebt...“ 109<br />

Lukács hat seine eigene Version dieser Aussprache „gedichtet“, sie nach Italien, nach Bellaria verlegt<br />

und mit einem progr<strong>am</strong>matischen Titel überschrieben: Das Gericht. Ein Dialog. 110 Lukács hat den<br />

Text nicht zu Ende bearbeitet und selbst nie veröffentlicht, aber er trägt eine Widmung: an Ljena<br />

Grabenko.<br />

Lukács schildert eine Begegnung zwischen zwei Freunden, die sich verachten. Erwin (das heißt<br />

Lukács, und es ist verblüffend, dass er in dieser Prosa den N<strong>am</strong>en von Balázs’ Bruder annimmt, mit<br />

dem Ljena ihn gerade betrügt) besucht seinen Freund Paul (also Balázs) <strong>am</strong> Meer, um dessen<br />

todkranke Frau noch einmal zu sehen. Lukács stellt es in seiner „Dr<strong>am</strong>atisierung“ so dar, vor allem<br />

108 Ervin Bauer (1890-1942), Arzt und Biologe, 1914 Heirat mit der Schriftstellerin Margit Kaffka, nach deren Tod<br />

1918 und der Niederschlagung der Rätediktatur Emigration nach Wien, Göttingen, Prag und Berlin. 1925 geht er<br />

mit seiner zweiten Frau nach Moskau, schließlich nach Leningrad wo er als Biologe eine Professur erhält. 1937<br />

Verhaftung als „Anhänger“ Béla Kuns. Er kommt, vermutlich 1942, in einem sowjetischen Lager ums Leben.<br />

Balázs’ Verhältnis zu seinem Bruder war nie frei von Spannungen.<br />

109 Balázs, Napló 1903-1914, S. 617f. Es folgt Balázs’ Schilderung seiner „Affaire mit Irma“.<br />

110 Veröffentlicht wurde dieser Text erst in der von Ferenc Lendvai besorgten ungarischen Ausgabe von Lukács’<br />

Tagebüchern: Georg Lukács, Napló - Tagebuch (1910-1911). Das Gericht (1913). Budapest: Akadémiai Kiadó,<br />

1981, S. 57-64. Siehe dort auch Lukács’ Notizen dazu auf S. 97.<br />

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